Die geheime Mission des Nostradamus
bemerkt, daß er um die Mitte eindeutig dicker geworden war, und sehnte sich nach seinem überdachten Ballhof. Er tat, als interessierte ihn die Neuigkeit, nickte stumm und strich sich den schmalen schwarzen Bart. Seine Lieblingsgeste, die ihm unverdientermaßen den Ruf eines tiefschürfenden Denkers eingebracht hatte. »Majestät«, fuhr Lothringen fort, »unsere Bittschriften sind endlich erhört worden. Der Papst hat das Heilige Offizium angewiesen, mit der Säuberung unseres Reiches von der neuen Ketzerei zu beginnen.« Ein kühler, verirrter Luftzug verfing sich in den Gobelins des Ratszimmers und kräuselte sie.
»Aha«, sagte der König, nickte erneut und wandte sich zur Tür, »und wen hat man zum Großinquisitor ernannt?«
»Mich«, sagte Lothringen, während er ihm auf den Flur folgte und sich an den Tennispartnern des Königs vorbeidrängte. »Aber bedauerlicherweise konnte der Papst nicht umhin, zwei andere Kardinale zu ernennen, nämlich Chatillon und Bourbon. Eine Sache der Präzedenz, Ihr versteht, wie bedauerlich auch immer.«
»Was ist daran bedauerlich, wenn drei mächtige Edelleute eine so große Sache gemeinsam betreiben?« fragte der König.
»Majestät, ich habe Grund zu dem Verdacht, daß Chatillon… Chatillon gehört zu ihnen.« Lothringen dämpfte die Stimme, so daß sie auf der steinernen Treppe nicht widerhallte. Der König hielt inne und blickte den Kardinal über die Schulter an.
»Ach? Dann erhält er also Briefe aus Genf?«
»Nein, soweit geht er nicht. Er hat Mitleid mit ihnen und geht nachsichtiger mit ihnen um, als er sollte. Alles Anzeichen, daß er vor Euch und vor dem Heiligen Vater etwas zu verbergen hat. Die Ketzerei hat in seinem Herzen Wurzeln geschlagen.« Sie hatten jetzt einen unteren Flur erreicht, und ein Page mit einem Wasserkrug blieb stehen und sah sie mit großen Augen an. Vom Ballhof am Ende des Ganges klangen einladende Geräusche herüber, ein Mann rief etwas, man hörte Beifallklatschen und das Plopp eines Schmetterballs.
»Selbst wenn er seine Seide ablegen und eine Predigt in ihrem Tempel halten würde, was ich doch sehr bezweifeln möchte, hättet Ihr noch Bourbon auf Eurer Seite. Bourbon, das weiß ich, ist ein guter Katholik.« Sie hatten jetzt die geöffnete Tür zum Ballhof erreicht. Das Seil war gespannt, und neugierige Gesichter spähten von den oberen Galerien herab.
Um die rasch nachlassende Aufmerksamkeit des Königs zu fesseln, beeilte Lothringen sich zu sagen: »Das stimmt, Majestät, und Euer Scharfblick bezüglich seines Mitleids ist vollendet. Aber habt Ihr nicht eine gewisse Lauheit, eine gewisse Neigung zum Wohlleben und zu Lustbarkeiten an ihm bemerkt, die an seiner Energie bei der Verfolgung dieser verräterischen Ketzer zehren könnten? Seine gute Laune, seine Liebe zu allem Neuen – all dies führt zu übertriebener Duldsamkeit. Fürwahr, erst im vergangenen Herbst hatte er diesen Scharlatan Nostradamus zu Gast. Wie ich gehört habe, hat er ihn fast jeden Abend an seine Tafel gebeten und die Gesellschaft zahlreicher Damen von Rang genossen, die kamen, um sich die Zukunft deuten zu lassen.«
Beim Thema Zukunftsdeutungen drehte sich der König zu Lothringen um und sagte in gereiztem Ton, diesmal sichtlich aufmerksam geworden: »Aberglauben, mein teurer Kardinal. Ich verabscheue ihn, aber er ist überall zu finden. Glücklicherweise ist er nicht gleichzusetzen mit Ketzerei. Die Königin, meine Gemahlin, widmet sich, wie Ihr wißt, den lächerlichsten, abergläubischsten Ritualen – und dennoch könnt Ihr auf der ganzen Welt keine treuere Katholikin finden. Messen, Gebete – sie bekommt nicht genug davon. Es liegt ihr im Blut. Keine Ausgeglichenheit. Nun ja, Italienerin und Nichte des Papstes. Nein, Aberglaube alleine ist kein Grund, um einen Mann zu verdächtigen…« Der König endete seine Rede mit einem Ausdruck auf seinem langen, verdrießlichen Gesicht, der schwer zu deuten war.
»Eure Auslegung seines Charakters ist brillant, Majestät. Aber zuweilen… zuweilen sorge ich mich, daß er, auch wenn er ein noch so guter Katholik ist, seine Familie übermäßig begünstigt. Sein Bruder…«
Jetzt funkelten die Augen des Königs gereizt. »Der König von Navarra? Der wechselt die Meinung wie ein Wetterhahn. Um den König von Navarra schere ich mich überhaupt nicht. Der plappert und phantasiert und intrigiert vergebens, um die spanische Hälfte seines Königreiches zurückzubekommen, und alles andere ist ihm einerlei. Der ist
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