Die geheime Mission des Nostradamus
immer.«
»Und mich beschuldigt man der Geheimnistuerei. So redet, Madame, sonst gebe ich Euch das Horoskop nie.«
»Damit meine ich, daß Ihr Eure Gebeine hierlaßt. Ich habe es von allerhöchster Stelle, daß die Theologen der Sorbonne und ihre Freunde von der Pariser Gerichtsbarkeit prüfen wollen, woher Eure Kräfte rühren. Und wir beide wissen, daß sie dabei nicht gerade zimperlich vorgehen. Selbst wenn man Euch erspart, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden, bleibt kein Gelenk in Eurem Körper heil.«
»Woher wollt Ihr das wissen? Ich glaube Euch kein Wort.«
»Ich sage die Wahrheit; ich habe es beim Kartenspiel von der Gattin eines hohen Würdenträgers gehört. Man ist neidisch auf die Gunst, die Euch die Königin erwiesen hat, und möchte ein Exempel statuieren. Ihr müßt auf der Stelle fliehen.«
»Ihr habt mich schon einmal belogen«, sagte Nostradamus.
»Nie im Leben«, entgegnete Madame Tournet, »ich bin die Wahrheit in Person.«
Nostradamus, der seine Chance gekommen sah, spielte nun seinen coup de Jarnac aus, seinen brillanten Fechtkniff. Es war auch ein Schuß ins Blaue, doch klug gewählt. Schließlich kamen solche Dinge auch in den besten Familien vor. »Ihr seid eine Lügnerin. Ihr habt bereits Eure Nichte belogen und durch sie auch mich. Das Geburtsdatum Eurer Nichte ist falsch, damit habt Ihr mich genarrt, und das hat mich viele Kerzen gekostet. Und jetzt steht Ihr da, wollt ihr Horoskop haben und mich dazu bringen, daß ich aus irgendeinem fadenscheinigen Grund aufbreche.« Der Prophet machte sich auf einen Sturm der Entrüstung gefaßt, doch statt dessen schien die massige Gestalt Madame Tournets in ihren wattierten Röcken zu schwanken und zu schrumpfen. Ihr Gesicht wurde so weiß wie ihre Spitzenkrause, so daß sich der kleine schwarze Schnurrbart noch stärker abhob. In ihre dunklen Augen traten Tränen, sie suchte blindlings nach einem Stuhl, fand einen und ließ sich laut vernehmlich darauf sinken.
»Vor Gottes Altar habe ich geschworen, es niemals zu erzählen. Es gibt nur drei Leute auf der Welt, die das Geheimnis kennen. Ihr werdet der vierte sein. Schwört mir, schwört mir, daß Ihr es meiner Patentochter niemals sagt. Es würde ihr das Herz brechen.«
»Die anderen beiden?«
»Die nehmen das Geheimnis mit ins Grab.«
»Dann ist einer von ihnen der Priester, der sie getauft hat.«
»Ihr seht zuviel, Maistre Prophet.«
»Und der andere?«
»Meine beste Freundin auf dieser Erde… aber mehr kann ich nicht sagen…«
»Aber da ist noch eine Sache. Ich muß die wahren Daten haben…«
»Ich kann nicht…«
»Entweder das oder Menander der Unvergängliche wird diese Schlacht irgendwann doch noch gewinnen; dann ist Demoiselle Sibille verloren, und das versteht Ihr besser als jeder andere.«
»Ich… ich… ja, dann muß ich…«
Der Prophet wartete darauf, daß der Kampf, den die alte Dame mit sich ausfocht, endete. »Ich kann Nachricht schicken, sowie die Arbeit vollendet ist«, half er sacht nach. »Und falls Ihr es vor ihr verstecken müßt, schicke ich das Horoskop direkt an Euch, wenn es fertig ist. Ich erledige übrigens die meiste Arbeit auf dem Postweg.«
»Kommt näher, dann kann ich flüstern«, sagte Madame Tournet, wischte sich die Tränen unter einem gewaltigen Nebel von Reispuder ab und blickte sich um, ob auch kein anderer Mensch in Hörweite war.
»Aha.« Nostradamus beugte sich über Madame Tournets füllige Gestalt. »Das ändert alles.«
Kapitel 16
D er Kardinal von Lothringen war im Ratszimmer geblieben, bis auch der letzte aus Montmorencys Lager gegangen war. Es war ein schlimmer Winter nach der Hungersnot gewesen, und es versprach ein schlimmer Frühling zu werden. Draußen prasselte ein für die Jahreszeit ungewöhnlicher Schneeregen an die rautenförmigen Scheiben der schmalen Fenster im Louvre. Der Alte Konnetabel war an der Nordfront, und der König war ohne dessen ausgleichende Gegenwart verunsichert. Lothringens älterer Bruder, der Herzog von Guise, feierte im Süden Triumphe, die ihm Ruhm eintrugen, doch seine Abwesenheit entfernte ihn auch vom Zentrum der Macht. Es wurde Zeit für Lothringen, im Interesse des Hauses Guise zu handeln.
»Majestät«, sprach er, gerade als der König hoffte, sich zurückziehen zu können. »Majestät, ich habe Nachrichten aus Rom, die Euch freuen werden.« Heinrich II. wandte seinem Berater eine ruhige, ernste Miene zu, doch unwillkürlich zuckte ein Muskel an seiner rechten Hand. Er hatte letztens
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