Die geheime Mission des Nostradamus
an der Tür. Sie blieben stehen und verhielten sich mäuschenstill, und in dieser Stille konnte man fast hören, wie ihre Ohren immer spitzer wurden.
»Mein Sohn, mein Sohn, hast du auch noch den letzten Funken Verstand verloren? Weißt du denn nicht, warum sich eine Frau ihres Schlages für dich interessiert? Eine Frau, die der Königin aufwartet? Die sich in der Öffentlichkeit zeigt, die bei literarischen Zusammenkünften liest und, was noch schlimmer ist, unter ihrem eigenen Namen Bücher veröffentlicht? Sie will einen Ehemann von Stand, den sie herumkommandieren kann… ein Deckmäntelchen für ihre Sünden, ihre Liebeleien, die zweifellos bereits so zahlreich sind wie die Sterne am Himmel. Denn so leben diese Frauen, diese Frauen mit Verbindungen zum Hof. Begreifst du denn nicht? Sie sind nicht wie wir…«
»Vater, Ihr begreift nicht. Es handelt sich um wahre Liebe. Ich kann ohne sie nicht leben. Ich sterbe, wenn ich sie nicht bekomme.«
»Du stirbst, wenn du sie bekommst. Die tausend Tode eines Hahnreis! Genug ist genug. Ich, dein Vater und dein Gebieter, ich schließe dich in diesem Zimmer ein, bis du einwilligst, nach Genua zu reisen, ein neues und anständiges Leben zu führen und ein Gewerbe zu erlernen, das deinem Stand angemessen ist. Andernfalls unterschreibe ich die Papiere, die dich wegen Verwahrlosung in die Bastille…« Der Krach einer zugeknallten Tür erschütterte das ganze Haus, und die beiden Frauen schlichen sich leise fort.
»Ein englischer Herold, hier?« fragte König Heinrich, einen Fuß im Steigbügel, den ein Kammerdiener hielt. Der Frühling wurde mit Macht zum Sommer. Die Pferde standen auf dem Hof bei den Stallungen in Fontainebleau, aufgeregte Jagdhunde bellten – man war bereit zur Jagd. Auch Königin Katharina, die trotz ihrer pummeligen Figur mit dem Mut eines Mannes im Damensattel ritt, saß auf ihrem schlanken grauen Jagdpferd, die Zügel in den molligen Fingern, atmete die vielversprechende Morgenluft tief ein und brannte auf den Ausritt. »Lassen wir ihn warten«, sagte der König und schwang sich in den Sattel. »Ein Mann von Ehre vergeudet keine Zeit für Kriegserklärungen, die ihm eine Frau macht.« Der französische Adel, der das mithörte, lachte und wiederholte die Bemerkung, bis sich jeder Mann von Ritterlichkeit und Geist an dem Witz erfreut hatte. Und so ritten der König und sein Hof bester Dinge auf die Hirschjagd, und der englische Herold durfte die nächsten Tage ausharren, bis es dem König beliebte, sich anzuhören, daß ihm England den Krieg erklärt und den Kaiserlichen, die sich an der Nordfront zusammenzogen, Truppen geschickt hatte.
»Habt Ihr den Honig, Madame?« fragte die Königin. Lucrèce Cavalcanti reichte ihr ein kleines Glas im Silberständer.
»Da, Madame«, sagte sie und stellte es auf den großen Eichentisch in Reichweite der Königin. Diese blickte nicht einmal auf. Neben ihrem rechten Arm lag ein geöffnetes Buch mit handschriftlichen Notizen. Katharina von Medici trug an diesem Morgen keine Hoftracht, sondern ein lockeres Hauskleid aus hellgelbem Taft, dazu ein schlichtes Spitzenhäubchen, und sie zerstieß emsig ein graues Pulver in einem Mörser. Ohne ihren Schnürleib war sie kugelrund, ihr dickes Gesicht glühte vor Eifer, ihre Augen waren auf die Arbeit gerichtet.
Endlich schien sie mit der Masse im Mörser zufrieden zu sein, und sie drehte sich mit einem lauten Rascheln ihrer Taftröcke zu ihrer Hofdame um. »So«, sagte sie. »Geranienpulver und eine Spur – wirklich nur eine Spur – Muskatnuß. Gegen Sommerfieber gibt es nichts Besseres. Stillt den Schmerz und verkürzt die Hustenanfälle. Und jetzt den Honig – sonst nimmt mein kleines Mädchen die Arznei niemals ein.« Eifrig mischte sie das Fiebermittel und goß es in eine Deckelschale aus Porzellan, die mit mythischen Figuren bemalt war.
»Majestät, Ihr seid nicht nur eine bedeutende Königin, sondern auch die gütigste und aufmerksamste Mutter«, säuselte ihre dame d'honneur und bedeutete dabei einer Dienerin, zu kommen und hinter ihnen sauberzumachen.
Die Königin seufzte. »Ich bemühe mich, Lucrèce, ich bemühe mich. Aber trotz all meines Wissens habe ich meine kleinen Zwillinge verloren.«
»Kummer ist das Los jeder Frau.«
»Aber, mit Verlaub, nicht meiner Tochter.« Begleitet von einem Pagen, der sie anmeldete, durchschritten die Königin und ihre Begleiterin die Flure von Saint-Germain zum Krankenzimmer von Elisabeth Valois. Da die Königin nicht
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