Die geheime Mission des Nostradamus
hinausgeworfen! Und jetzt gehst du die Nacht über aus und verschläfst den Tag! Du hast jeden Sündenpfuhl in sechs Nationen ausprobiert. Und mit wem treibst du dich herum? Etwa mit bedeutenden Menschen, die dir weiterhelfen könnten? O nein, mit Söhnen zwielichtiger Schänkenbesitzer, mit Raufbolden aus Fechtschulen, mit verarmten, klatschsüchtigen Schreiberlingen und fiedelnden Galgenvögeln, ja, das sind die Leute, von denen sich mein Sohn angezogen fühlt wie von einem Magneten!«
»Mutter«, flüsterte Clarette, als ihr Vater eine Atempause einlegte, »darf mich Bernardo zur Messe begleiten?« Nicolas' tugendreiche jüngere Schwester hielt ein Gebetbuch in der lilienweißen Hand, und auf ihrem Busen baumelte ein großes Kreuz.
»Tunichtgut!« hörte man den Vater von oben brüllen. Nicolas' Mutter erschauerte.
»Du weißt, dein Vater hat Bernardo befohlen, deinem Bruder überallhin zu folgen, ihn aus Schänken zu holen, von Raufereien und öffentlichen Skandalen fernzuhalten. Und hörst du denn nicht? Er will aufstehen.«
»O Mutter, eigentlich sollte mich Nicolas begleiten. Wenn er doch nur einmal den Fuß in die Kirche setzen würde. Es wäre wunderbar, wenn er eines Tages durch mich der Liebe Gottes teilhaftig würde.«
»O mein Schatz, mein tugendreiches Mädchen. Warum hat Gott dir nur so viel Güte geschenkt und deinem Bruder nichts davon? Bei Gott, er ist noch mein Tod.«
»Wenn Ihr doch nur…« Jetzt seufzte Clarette und richtete den Blick zur Decke. »Wenn Ihr doch nur Vater davon überzeugen könntet, daß er mich ins Kloster gehen läßt.«
»Du weißt, daß Vater dagegen ist. Wer bleibt denn von den Montverts, wenn dein Bruder… O Gott, wie ich seinetwegen leide…«
»In deinem Alter war ich ein nüchtern denkender junger Geschäftsmann. Ich war mit deiner Mutter verheiratet. Ich hatte eine Zukunft! Was bleibt dir außer einer Laufbahn als Söldner, literarischer Schmierfink oder Berufsspieler? Kannst du mir das beantworten?«
»Schon gut, Vater, ich fange ein neues Leben an…« Bei diesen Worten hielten alle im Haus den Atem an. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, spitzten die Ohren. Jedoch taten sie so, als wären sie tief in Gedanken versunken. »Ja – mit dem heutigen Tag. Gebt mir die Erlaubnis zu heiraten, und ich ergreife einen ehrbaren Beruf – Advokat –, wie Ihr es immer gewollt habt.« Clarette und ihre Mutter sperrten Mund und Nase auf.
»Nicht so schnell, du Wiesel. Du hast dein Jurastudium an drei Universitäten abgebrochen, jedenfalls nach letzter Zählung. Wer sagt mir, daß du dich nicht wieder einschreibst und alles von vorn anfängt? Nie mehr, sag ich. Eine ehrliche Lehre in der Bank deiner mütterlichen Verwandten in Genua, und ich arrangiere eine Heirat mit einer praktisch denkenden jungen Frau aus vermögender Familie…«
»Vater, es gibt schon eine Demoiselle…«
»Eine was? Du wagst es, mich auf diese Weise hereinzulegen?« Clarette und ihre Mutter schlichen sich leise und mit großen Augen die Treppe hoch.
»Sie ist schön, von edler Geburt, sie betet mich an, und ich… ich liebe sie so sehr, daß ich alles für sie tun würde… sogar Bankier werden. Alles – für Euren Segen, Vater.«
»Du hast einer Frau ohne meine Erlaubnis den Hof gemacht? Ich hatte dich gewarnt, mir das nie wieder anzutun!«
»Ihr habt gesagt, ich solle die Bekanntschaft von Menschen edler Abstammung und mit hohen Verbindungen suchen…«
»Von Männern, nicht von Frauen, du Schwachkopf!«
»Sie stammt aus einer ausgezeichneten Familie – Schwertadel. Sehr alt… Die Artauds de la Roque-aux-Bois. Und sie hat höchst bedeutende Beziehungen bei Hofe – zur Königin höchstpersönlich…«
»Du, du, du… was? Eine Kurtisane? Ich weiß alles über diese Frau! Und ich weiß, was du bist – ein tumber Tor. Also habe ich mich erkundigt, als du diese Liederliese zum ersten Mal gesehen hast, und ich habe über diese furchtbare Person mehr erfahren, als mir lieb ist! Sibille Artaud de la Roque, deren Base Matheline von Geburt an eine schamlose Metze ist und die ihrem guten Mann unendliches Leid zugefügt hat. Und diese Sibille treibt es noch ärger, verläßt eine anständige Familie, lebt bei ihrer ruchlosen Tante eines Erbes wegen, das rechtens ihrem Vater gehört, und hat jetzt geheimnisvolle Beziehungen zum Hof! Sündige Beziehungen zweifellos!«
Nicolas' Mutter und Schwester waren jetzt fast am Kopf der Treppe angelangt, gerade außer Sichtweite der beiden Streithähne
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