Die geheime Mission des Nostradamus
Landplage«, hörte er seinen Gegner rufen, doch sehen konnte er ihn nicht, weil ein Schopf brauner Haare auf seinem Gesicht lag. »Herunter mit dir! Ich habe gewonnen, er hat Leben und Waffen verwirkt.«
»Nicolas, du Unseliger! Wie kannst du nur!« Die alberne Frau drückte d'Estouville zu Boden; ihr Haar kitzelte ihn in der Nase und sorgte dafür, daß er kaum etwas sehen konnte. Jemand schien Nummer dreizehn wegzuzerren, dann bellte ein Unbekannter einen Befehl, die Schwertspitze, die über seinem linken Auge geschwebt hatte, verschwand, und dann hörte er das Geklirr von Waffen und Geschrei, und das schwere Gewicht auf seiner Brust rief: »Feiglinge! Wehe, Ihr rührt ihn an! Seht Ihr denn nicht, daß er verwundet ist?«
»Rittmeister, er ist uns entwischt…«
»Wenigstens haben wir den hier…«
»Ich bin Feldscher… Seine Wunden müssen versorgt werden.«
»Ich habe etwas…«, sagte eine Frauenstimme, dann eine Bewegung, und ein breiter Musselinvolant raubte ihm vollends die Sicht. »Es ist… ein belebendes Tonikum…«
»Runter von mir, Weibsbild«, sagte d'Estouville.
»Erst… wenn… Ihr das hier getrunken habt.« Eine brennende Flüssigkeit wurde ihm eingeflößt, und noch ehe er husten konnte, wurde ihm schwarz vor Augen.
Die Wachen, die gezögert hatten, die Jungfer in Musselin vom Leib des Verlierers wegzuzerren, standen wie angewurzelt und staunten, als sie ein Fläschchen aus ihrem Mieder zog, den Korken löste, ihm ein paar Tropfen einträufelte und dann den Rest selbst austrank. Noch ehe sie alles geschluckt hatte, fiel sie schon wie tot über das blutende Opfer.
Der Feldscher zerrte sie auseinander und legte die Hände auf beider Brust. Kein Herzschlag. »Tot«, verkündete er. »Alle beide.« Sein Bedauern klang echt. Zwei gewinnbringende Aufträge dahin, und wahrscheinlich viel vergeudete Zeit für eine elende amtliche Befragung. O Fortuna, du feile Metze, dachte er.
»Mein Mädchen, mein gebenedeites Mädchen«, rief eine Dame, die aus einer Sänfte gestiegen war, völlig außer sich.
»Wer ist das?« fragte der Rittmeister.
»Meine Tochter, seine Schwester… Wer hätte gedacht, daß sie so heftige Rachegelüste im Herzen hegt?« rief der alte Monsieur Montvert. »Sie hat den Herausforderer vergiftet und dann, um der Strafe zu entgehen, sich selbst.«
»Sie war solch ein gutes, stilles Kind. Sie hat immer nur gebetet. Ist jeden Tag zur Messe gegangen«, schluchzte Madame Montvert. Die Soldaten, die Zuschauer drängten sich mit schreckgeweiteten und entsetzten Augen um die beiden leblosen Körper.
Da lagen sie: der hübsche, blutende Offizier mit offenem Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen, mit nach oben gerichteten Stiefelspitzen und auf ihm die gefühlsselige Jungfrau in weißem Musselin mit gelöstem Haar, das über beider Körper floß. Einfach tot, ohne Vorwarnung, ohne Priester, ohne ein Gebet. Das war zuviel. Es übermannte so manchen, einige fingen an zu weinen.
»Hebt sie auf«, setzte der Rittmeister an.
Der Tote bewegte ein wenig die Hand.
»Seht doch, sie rührt sich – ich höre sie seufzen«, rief eine Stimme.
»Feldscher, Ihr seid ein Dummkopf… Sie leben noch…«
»Ich könnte schwören, daß ich keinen Herzschlag mehr…«
Langsam und mit einem abgrundtiefen Seufzer hob die weißgekleidete Jungfrau den Kopf und musterte das Gesicht des Verwundeten mit abgöttischer Bewunderung. Seine Lider flatterten und hoben sich, und niemand konnte den Blick verkennen, mit dem er das Mädchen ansah: Er betete sie an. Ihre Blicke hingen aneinander, ihre Wangen wurden rosig. Ihre Herzen, die sich so nahe waren, begannen im gleichen Takt zu schlagen. Liebe, die wahre Liebe, eine unendliche Liebe hatte sie ergriffen.
»Diese häßliche Schulterwunde muß verbunden werden, Monsieur«, sagte der Feldscher.
Und Sibille, deren scharfem Blick keine Einzelheit des Dramas entgangen war, dachte bei sich: Jetzt ist Nicolas schon so weit, daß sie ihn nicht mehr einholen können.
»Ich… ich verstehe gar nichts mehr«, murmelte Nicolas' Vater mit ratlosem Blick.
»Habt Ihr nicht gewußt, daß er an einem Buch über die Kunst des Fechtens mit dem italienischen Rapier schreibt?« fragte Sibille.
»Nein, ich meine das Zeug, das meine Tochter dem Kerl da eingeflößt hat: Was hat sie getan?«
»Es ist leider so, daß sie sich jetzt für alle Zeit lieben«, antwortete Sibille, hob das weggeworfene Fläschchen auf und betrachtete das im Sonnenschein funkelnde Ding mit
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