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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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einmal das Horoskop.
    Nostradamus entfaltete den Entwurf von Sibilles Horoskop, auf dem er soviel herumgekritzelt hatte, um es mit dem wahren Geburtsdatum, das Pauline Tournet ihm anvertraut hatte, in Einklang zu bringen. Und das war nun wirklich ein Geburtstag! Unter den gegebenen Umständen der glücklichste überhaupt. Und daraus ergab sich ein ganz anderer Charakter als der der zerbrechlichen, launischen Lilie des späteren Datums. Dieses Geschöpf, Steinbock im Übergang zum Schützen, war unerschrocken, einfallsreich und leidenschaftlich. Eindeutig ein besserer Charakter, dachte er. Das kommt nicht nur durch das Datum. Zählen wir die Monate – sieben, acht, neun – und jetzt nehmen wir einmal an, da sie die Älteste ist, haben sie ihren Geburtstag als neun Monate nach der Eheschließung der Eltern angegeben, und um zu diesem Datum zu kommen, rechnen wir noch einmal… Ja, das ist es. Die junge Frau wurde drei Monate früher gezeugt. Wer war der Vater? Falls es nicht der Mann ist, der sie aufgezogen hat, haben wir hier einen Ansatzpunkt zu…
    An diesem Abend saß Nostradamus trotz der Hitze in seiner Zauberertracht in der kleinen Dachkammer, seinem abgeschiedenen Studierzimmer, vor der Zauberschüssel und rief Anael herbei.
    »Michel, bist du nicht ganz bei Trost? Du solltest im Bett liegen. In diesem kleinen Zimmer ist es heißer als an den Pforten der Hölle.«
    »Anael, bewahrst du in deinem Schrank nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit auf?«
    »Natürlich. Die Vergangenheit ist doch nichts als übriggebliebene Zukunft. Ich habe das alles irgendwo…«
    »Kannst du mir eine Szene aus der Vergangenheit zeigen?«
    »Ich habe mich schon gefragt, wann du darauf kommen würdest. Zukunft, Zukunft, Zukunft, das ist es, was alle wissen wollen. Wahre Kenner ziehen die Vergangenheit vor, ihr Geschmack ist viel eleganter und kultivierter. Hättest du gern die Krönung Karls des Großen gesehen? Die habe ich gleich hier oben.«
    »Ich hatte eigentlich an etwas anderes gedacht. Du weißt, was ich haben will?«
    »Michel, du bist ein alter Mann und hast eine schmutzige Phantasie.«
    »Bitte, es handelt sich um wissenschaftliche Forschung.«
    »Alles der guten Sache zuliebe, um Menander loszuwerden, was? Michel, du erstaunst mich. Aber ich glaube, ich habe da etwas…« Ein Teil von Anaels Oberkörper verschwand, und dann waren Geklapper, Geknister und Geklirr zu hören, während alle möglichen Dinge im Schrank hin und her gerückt wurden. Wenn der Engel herumkramte, erzeugte er immer so einen eigenartigen Lärm, daß der Doktor neugierig wurde, in welcher Form vergangene und zukünftige Geschichte dort wohl gelagert war. Bücher waren es gewiß nicht.
    »Rühr in deiner Schüssel, Michel. Ich kann die eigentliche Sache nicht finden, aber das hier tut es auch.«
    Nostradamus rührte das Wasser mit seinem Zauberstab um, und als sich die Oberfläche wieder glättete, sah er eine seltsame Szene. Es war dunkel, und Männer mit Fackeln beugten sich über einen Toten auf der Straße. Er lag ausgestreckt am Fuße einer Leiter, und rings um ihn breiteten sich auf dem Pflaster Blutlachen aus, die im Fackelschein schwarz aussahen. Hinter den Fackeln schluchzte aufgelöst ein Junge. Nein, kein Junge… Das lange Haar war aufgegangen und fiel unter einer tief in die Stirn gezogenen Mütze hervor. Ein als Junge verkleidetes Mädchen. Ein Fluchtversuch war schiefgegangen. Ein grauhaariger Mann, der neben der Leiche stand, steckte sein Schwert in die Scheide, trat rasch auf das Mädchen zu, packte es bei den langen Haaren und hielt ihr Gesicht über das des Toten. Das Gesicht des alten Mannes war verzerrt, sein verkniffener Mund formte unverständliche Worte. Doch lag die Szene zu weit zurück, als daß man hören konnte, was er sagte.
    »Wie alt ist der Jüngling?« fragte Nostradamus.
    »Gerade mal achtzehn«, antwortete Anael.
    »Er kommt mir bekannt vor… Die Nase, ja – das ist es. Aber sie ist älter. Ich könnte schwören, er ist das Abbild von Sibille, der gräßlichen Dichterin.«
    »Wenn du doch nur nicht so hart mit ihr ins Gericht gingest, Michel. Ich habe sie recht gern. Und wie ich dir gesagt habe, sie wird dir zum Trotz in die Geschichte eingehen. Sie ist nämlich begabt, weiß das nur nicht richtig anzuwenden. Und sie ist so mitfühlend. Du bist nichts als ein neidischer alter Mann.«
    »Das ist ihr Vater, nicht wahr? Ist das Mädchen unten an der Leiter schwanger?«
    »Im dritten Monat, du

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