Die geheime Mission des Nostradamus
peinlich, daß er mir gehört.«
»Peinlich?« sagte Madame Gondi etwas ratlos. »Das ist nicht gerade das Wort, das ich gebrauchen würde.« Sie drehte sich um, kratzte an der Innentür des Vorzimmers, und eine Hofdame der Königin machte auf und zog sich dann zurück. Die Königin hatte Briefe geschrieben; mehrere lagen bereits auf ihrem Schreibtisch. Briefe an die Gouvernante ihrer Kinder, Briefe, in denen sie um Posten für italienische Freunde bat, einige waren bereits gefaltet und versiegelt. Hinter dem Schreibtisch stand in einer Ecke ein kleiner Tisch mit zwei schwarzen, brennenden Kerzen, obwohl es ein heißer, hellichter Sommertag war. Sie hatte Menander erwartet; wahrscheinlich hatte er sogar einen Termin in ihrem Kalender: »Donnerstag nachmittag den unsterblichen Kopf befragen.« Ich konnte es mir richtig ausmalen. Ich sah, daß sie über ihrem Hofkleid eine Adeptenrobe aus weißem Leinen trug, die man eigens für sie angefertigt hatte. Offensichtlich hielt sie noch mehr von ihren magischen Kräften, seit sie sich mit Menander eingelassen hatte. Wie hinterlistig sich diese alte Mumie doch die menschliche Eitelkeit zu eigen macht, dachte ich. Je aufgeblasener sie sind, desto besser kann er sie hinterher ins Verderben stürzen. Doch dann sagte eine leise Stimme in meinem Hinterkopf: »Und wenn er sie nun nicht ruiniert? Warum wünschst du dir nichts, damit auch du bekommst, was du begehrst?« Halt den Mund, sagte ich zu der Stimme, aus dir spricht der leibhaftige Teufel. Ich reichte der Königin den Kasten, ging unter Verbeugungen rückwärts aus dem Zimmer und ließ mich aufseufzend auf die Bank im Vorzimmer gegenüber von Madame Gondi fallen, die auf den Knien lag und den Rosenkranz in einer Schnelligkeit betete, die selbst den Blitz herausforderte.
Doch die Tür war nicht verriegelt, und die Königin war zu vertieft, um zu merken, daß sie sich etwas geöffnet hatte. Durch diesen schmalen Spalt konnte ich ihre leise Stimme hören, die unverständliche Beschwörungen murmelte, doch Sitte und Anstand geboten, nicht zu lauschen. Dann übertönte Menanders höhnisches Lachen sogar Madame Gondis Gebete, und sie riß die Augen auf. Beide vernahmen wir nun deutlich, wie die Stimme der Königin entschlossen sagte: »Ich möchte in Staatsangelegenheiten von meinem Gemahl respektiert und um Rat gefragt werden.«
»Es sei, wie Ihr wünscht, erhabene Königin«, hörten wir Menander antworten.
»Und das bald«, sagte sie. »Madame de Valentinois, diese überhebliche alte Frau, herrscht noch immer im Herzen meines Mannes, Ihr habt bezüglich meines letzten Wunsches noch immer nichts unternommen.«
»Die Zeit wird die Wahrheit erweisen, erhabene Königin«, erwiderte Menander. Mir wollte scheinen, daß seine Stimme etwas gekränkt klang. »Große Dinge erfordern große Taten. Ich denke viel über meine Arbeit nach. Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden, desgleichen kann sich das Herz eines mächtigen Königs nicht über Nacht ändern.«
»Beuge dich meinem Zauber, ungehorsamer Diener«, befahl die Königin und sprach eine neue Zauberformel. Du liebe Zeit, die lernt ja dauernd etwas Neues, dachte ich, als ich hörte, wie sie Menanders Kasten zuschlug. Heute abend werde ich keinen Schlaf finden, weil ich mir sein Gejammer anhören muß. Wenn sich Nostradamus doch beeilen und mir das Geheimnis schicken würde, wie ich ihn loswerde. Diese schauerliche Mumie im Kasten wird noch meinen Willen brechen, wenn sie mich jede Nacht wachhält, aber das darf sie nicht wissen.
Vom Flur draußen drang Gekreisch herein, begleitet von trippelnden Frauenschuhen. Dann wurde auf die Tür des Vorzimmers eingehämmert. Die Königin trat aus dem inneren Gemach.
»Was ist los?« fragte sie. »Hat eine von Euch etwas gehört?« Auf Madame Gondis verneinendes Kopfschütteln hin befahl sie, die äußere Tür zu öffnen. Vor ihr standen einige Hofdamen und rangen die Hände, eine von ihnen weinte.
Unter ihnen war auch ein Kurier, der aus Compiègne vom König kam, schwungvoll niederkniete und die Nachricht verlauten ließ: »Der König, Euer Gemahl, schickt Kunde, daß das Nordheer, das die Garnison von St. Quentin verstärken sollte, von den Engländern geschlagen wurde; Konnetabel Montmorency ist verwundet worden und in Gefangenschaft geraten, und Marschall St. André ist auch gefangen. Man hat den Dauphin zu seiner eigenen Sicherheit nach Süden, nach Blois gebracht, und der König bittet Euch, die königlichen Kinder und die
Weitere Kostenlose Bücher