Die geheime Mission des Nostradamus
hatte. Katharina von Medicis Ton war berechnend honigsüß, und der darin enthaltene Stachel war kaum zu überhören, so daß einigen der älteren Zuschauer jäh einfiel, wie sie als vierzehnjährige Braut, die soeben auf der Galeere des Papstes eingetroffen war, den großen König Franz I. in einem ähnlichen Wettstreit geschlagen hatte. König Franz hatte schallend gelacht und gefragt, welche anderen Tricks sie noch beherrsche. Doch das war in der guten alten Zeit, am alten Hof; damals, als das Lachen irgendwie gelöster und weniger boshaft geklungen hatte.
Der Mechanismus knackte, und es zischte, als der Bolzen von der Armbrust der Fünfzehnjährigen davonschoß und sich in den mittleren Ring der Zielscheibe bohrte.
»Viel, viel besser«, lobte Katharina die Schützin. »Laßt mich auch einmal versuchen.« Sie stellte sich zu dem Mädchen hinter dem Tisch, während Lakaien herbeieilten und einen neuen Satz Armbrüste luden. Ein kunstvoll geschlitztes, besticktes Kleid mit zahlreichen Unterröcken, eine schmal gefältelte Halskrause und Reihen von künstlichen Locken, auf denen ein kleiner, überladener Seidenhut mit Schmuck und Federn saß, vermochten die pummelige Figur der Königin nicht zu verbergen. Als die gedrungene, kleine Frau mit geübter Hand die Armbrust ergriff, unterdrückte einer der jüngsten Diener der Herzogin ein Lächeln. Wie konnte die Italienerin nur den stummen Anflug eines spöttischen Lächelns in ihrem Rücken ahnen? Doch so war es, es war für sie genauso spürbar wie die Windrichtung auf ihren Wangen und die Stärke und Spannung der Armbrust, die sie begutachtete, während sie einen Augenblick innehielt. Sie kniff ein schlaues, dunkles Auge zusammen, dann hörte man ein Klicken, und der Bolzen landete genau in der Mitte der Zielscheibe. Ringsum bewunderndes Lachen und Beifall von den wenigen loyalen Damen ihrer »fliegenden Schwadron«, während unter dem Sonnensegel Schweigen herrschte.
Als die Lakaien Tische für eine Stärkung aufstellten, bemerkte die Herzogin zu einer ihrer Damen: »Aber natürlich hat mich der König als erste zu Rate gezogen… In Kriegszeiten kann man bei Anstellungen gar nicht vorsichtig genug sein. Und natürlich hat er gebeten, daß ich zu ihm in sein Hauptquartier nach Compiègne komme.«
Die Königin kniff den Mund fest zusammen. War das ein Spiel der Sonne auf ihrem Gesicht, oder funkelten ihre Augen vor heimlichem Zorn über die taktlose Art, wie die Stimme der ach so teuren Herzogin zu ihr herüberdrang? Gelassen wandte sich Katharina an Madame Gondi, die in ihrem Kleid aus dunkelgrüner Seide finster und ernst wirkte. »Oh, so viele neue Gesichter und so viele Verwandte der Herzogin. Es ist, glaube ich, an der Zeit für ein kleines – künstlerisches Zwischenspiel. Holt Demoiselle de la Roque und sagt ihr, sie möge ihren Freund mitbringen. Ich will mit ihr über… Poesie sprechen.«
Wir hatten Mitte August und damit die Hundstage, an denen durch die geöffneten Fenster statt einer frischen Brise nur der Gestank der Straße ins Zimmer dringt, als mich die Königin wieder einmal holen ließ. Auf der engen Straße gab es Bewegung und Aufruhr, als sechs bewaffnete Reiter in der Livree der Königin über das Pflaster klapperten und vor unserer Tür anhielten.
»Aha«, sagte Tantchen, die den Tumult durchs geöffnete Fenster gehört hatte, »du schaffst es, glaube ich, doch noch, der Hitze zu entfliehen. Habe ich dir nicht gesagt, daß es so kommen würde? La Reine des Épées hat letzten Abend quer zu den ausgebreiteten Karten gelegen.« Wir hörten, wie die unbekannten Männer durch die Tür zu ebener Erde eingelassen wurden, und Stimmen, die riefen: »Auf Befehl der Königin.«
»Hoffentlich«, meinte der alte Monsieur Montvert, der bei uns weilte, um Tantchen in Finanzdingen zu beraten, »ist das kein böses Zeichen.« Seit das Duell sein Familienuniversum auf den Kopf gestellt hatte, suchte Montvert mehr und mehr bei Tantchen Trost und Rat und erteilte ihr im Gegenzug sehr kluge Ratschläge für Geldanlagen, durch die sie ihr Vermögen beinahe verdoppelt hatte. »Es ist das Seufzen, das Schluchzen am Fenster, das Briefeschreiben, das mich zum Wahnsinn treibt«, pflegte er zu sagen. »Meine Frau hat mich gezwungen, mich mit seinem Vater in Verbindung zu setzen, und das ist ein fürchterlicher Blutsauger von altem Adel, dem nichts anderes einfiel, als daß ich die Mitgift verdopple. Diese Heuchelei! Falls gewöhnliches Blut so befleckt ist, wie
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