Die geheime Mission des Nostradamus
Königin der Schotten auch dorthin zu schicken.« Die sich um uns Scharenden waren starr vor Entsetzen. Mehrere Damen fingen an zu weinen.
»Was befiehlt mir der König, mein Gemahl, sonst noch?« Die matronenhafte Frau blieb ungerührt. Ihre Augen blickten schlau und tränenlos. Und jetzt sah ich in dieser ungeliebten, plumpen Mutter mit den honigsüßen Tönen erstmals ein anderes, bislang verstecktes Wesen, stahlhart und brillant, jedoch leise, und listig wie eine Giftschlange. Diese brillante und gefährliche Seite hat sie vor allen verborgen gehalten, sogar vor sich selbst, schoß es mir durch den Kopf. Wehe dem, der dieses wahre Wesen aus der juwelenbesetzten Schale weiblicher Selbsttäuschung befreit.
»Er möchte, daß Ihr die Juwelen aus der Kathedrale und der königlichen Gruft in St. Denis holen laßt und sie nach Süden, in sicheren Gewahrsam schickt«, sagte der Kurier.
»Mein alter Tratschfreund ein Gefangener und verwundet.« Die Königin schüttelte verwundert den Kopf. Dieser verschlagene Krieger, dachten die anderen. Wie konnte das nur geschehen? »Weiß man, ob der Konnetabel Montmorency noch am Leben ist?«
»Das weiß niemand. Viertausend liegen tot auf dem Schlachtfeld, und die Herolde sind noch nicht mit dem Zählen fertig.« Bei diesen Worten stockte mir der Atem. Mein kühner Bruder Annibal. Lebte er oder war er tot? Was war mit Philippe d'Estouville, Clarettes großer Liebe?
Doch Katharina von Medici blieb so ruhig, als säße sie am Stickrahmen. »Ist St. Quentin schon gefallen?« fragte sie.
»Der Neffe des Konnetabel, Coligny, hält die Stadt noch, aber sie sind in der Minderzahl.«
»Wenn St. Quentin fällt, steht der Weg nach Paris offen. Guise ist in Italien. Wer kann unsere Hauptstadt jetzt noch vor den feindlichen Truppen schützen? Was ist mit meinem Gemahl, dem König?«
»Er ist zutiefst betroffen durch den Verlust des Konnetabel und hat Madame de Valentinois holen lassen, daß sie Bittgottesdienste für Montmorencys Genesung arrangiert. Auch hat er Maistre Paré befohlen, sich durch die feindlichen Linien zu schlagen und sich um die Wunden des Gefangenen zu kümmern. Der Kronrat wurde einberufen, ist aber noch nicht zusammengetreten. Auch hat er eine feierliche Prozession in Notre-Dame angesetzt.«
»Aha«, sagte die Königin leise zu sich selbst. »So steht es also. Die Herzogin hat ihn noch immer fest im Griff. Und wir müssen alle Guise anflehen zurückzukommen, und wenn er das tut, wird er regieren, wer auch immer auf dem Thron sitzt.« Dem Kurier befahl sie: »Kehre zu Seiner Majestät, meinem Gemahl, zurück und melde ihm, daß alles geschieht, wie er befohlen hat.« Als der Kurier gegangen war, wandte sich die Königin an Madame Gondi. »Schickt einen Kurier zu Eurem Gatten: Er und die anderen Bankiers, die noch in Paris sind, werden für morgen zu einer Audienz einberufen. Die Zofen sollen Trauerkleidung für mich zurechtlegen. Ich werde persönlich mit meinen Hofdamen vor das Parlament treten. Ich, die Königin, werde darum bitten, Geld zur Verteidigung der Stadt aufzubringen. Wir werden alle Schwarz tragen, damit sie begreifen, daß der Thron selbst in Gefahr ist.
Prozessionen in der Kathedrale, schön und gut, aber trotz allem, was die blaublütigen Familien hier behaupten, führt man Krieg nicht mit Federn und Ritterlichkeit, sondern mit Geld. Und Ihr, Demoiselle«, jetzt drehte sie sich um, als hätte sie gerade bemerkt, daß ich mit offenem Mund dastand, »Ihr bleibt bis morgen früh. Ich will Euren Freund auf die Probe stellen. Er soll dafür sorgen, daß die feindlichen Truppen wie angewurzelt am Fleck verharren.« Eine Medici, wie sie leibt und lebt, dachte ich, die geht auf Nummer Sicher, verhandelt mit Gott und Mammon gleichzeitig – und zu allem Überfluß auch noch mit dem Teufel.
Die Kunde verbreitete sich rasch, und während die Schlacht von St. Quentin noch tobte, schickten wohlhabende Familien ihre eigenen Feldschere an die Front, damit sie ihre verwundeten Söhne suchten und nach Haus brachten. Verwundete, denen es gelungen war, sich zur Behandlung nach Paris durchzuschlagen, brachten gräßliche Berichte von Rathäusern voller Sterbender mit. Die arme Clarette war ganz außer sich vor Angst und wartete auf die Diener, die ihr Vater nach Norden geschickt hatte, damit sie Kunde von Philippe und Annibal brachten. Doch auch die gingen im Mahlstrom unter, wurden zweifellos ins Heer gepreßt, und als man nichts hörte, mußte man das Schlimmste
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