Die geheime Mission des Nostradamus
stand.
Villasse kehrte in den Stall zurück, in dem er sein Pferd untergestellt hatte, und erwischte den Stallmeister auf frischer Tat, wie er einem Fremden, der es eilig hatte, aus der Stadt zu kommen, unter der Hand sein Pferd verkaufen wollte. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, erdolchte er den Mann und schlug den anderen in die Flucht; dann stieg er auf und mischte sich unter die Menschenmassen, die sich auf den Straßen in Richtung der Stadttore drängten. Zielstrebig und ohne nach rechts und links zu sehen, verschaffte er sich mit der Reitpeitsche Platz in Richtung Pont aux Meuniers. Dabei drängte er Reisende zu Fuß beiseite, die ihm Verwünschungen nachriefen. Unter der Brücke rumpelten und ächzten noch immer die Mühlen von Paris; die grünen Fluten der Seine waren verstopft von schwerbeladenen Booten mit Menschen und Möbeln, die vom Kai abstießen. Am Stadttor mußte er fluchend und vor Wut kochend warten, bis eine Abteilung eben eingetroffener Schweizer Söldner mit fliegenden Fahnen durchgezogen war. Als er außerhalb der Stadtmauern war, trieb er sein Pferd zum Galopp an, überholte langsam fahrende Karren und flößte anderen Reitern mit wutentbrannten Blicken aus seinem einzigen Auge solche Furcht ein, daß sie auswichen. Wer ihn so sah, hegte nicht den leisesten Zweifel, daß hier ein Irrer kam, bei dem es um Leben und Tod ging.
Nach nur einem halben Tag erblickte er vor sich, an der vertrauten Straßenbiegung, die Wirtschaftsgebäude von la Roque-aux-Bois, den wohlbekannten Taubenturm über dem geöffneten Haupttor, den staubigen Hof dahinter. Hühner stoben vor den schweren Hufen seines dampfenden Reitpferdes auseinander; im Nu hatte er die kleine Brücke überquert und dem Diener an der Freitreppe des Gutshauses die Zügel zugeworfen. Laurette, die ihn aus einem der oberen Fenster erspäht hatte, war bereits zu seiner Begrüßung an die Eingangstür geeilt. Potzblitz, dachte er, sie ist doch ein hübsches Dingelchen mit ihren blonden Locken, die ihr von der Sommerhitze feucht auf den rosigen Wangen liegen. Und kein Wunder, daß sie so anders ist als ihre Schwester, so weiblich, so fügsam – sie ist ja nur eine Halbschwester. Gott allein weiß, welcher Lakai oder Priester ihrer Mutter unter die Röcke gekrochen ist und sie als erster gehabt hat. Aber ich kann Laurette wirklich nicht heiraten, auch wenn sie noch so hübsch ist, jetzt, da ich das Geheimnis kenne. Die Familie ist einfach nicht ehrbar genug für mich, nun bin ich der Höhergestellte. Aber im Augenblick brauche ich Laurette; sie muß die Sachen ihrer Schwester durchsuchen und den Kopf für mich finden. Er kann nur in irgendeinem Bündel sein. Und wenn ich den Herrn aller Wünsche erst einmal habe, bekomme ich auch eine Ehefrau von Rang und Vermögen, die obendrein noch schön ist.
Villasse' Gesicht verzog sich zu einem gütigen Lächeln, das Laurette versicherte, er wäre noch immer verliebt in sie, selbst nach einem Aufenthalt in einer Stadt kultivierter, nach der neuesten Mode gekleideter Damen. Er liebt mich noch, dachte sie, und das tröstete sie über den schrecklichen Ärger wegen des Besuchs ihrer älteren Schwester hinweg, die wunderschön gekleidet und anscheinend überhaupt nicht entstellt in Gesellschaft einer wohlhabenden jungen Großstädterin mit deren Mutter hier weilte. Schlimmer noch, das bleiche, dunkelhaarige Geschöpf mit der seidenen Unterwäsche und den baumelnden Diamantohrringen hatte sich vor ihr mit der bevorstehenden Verlobung mit ihrem Philippe d'Estouville gebrüstet und ihr anvertraut, daß sie ein Dutzend Liebesbriefe von ihm an ihrem flachen Busen barg. Das reichte, da konnte ein Mädchen nur noch in die Kirche fliehen und darum beten, Philippe möge beim nächsten Angriff der Spanier fallen.
»Liebster Monsieur Villasse, habt Ihr Eurer kleinen Freundin etwas aus Paris mitgebracht?« fragte Laurette und klapperte mit den Wimpern.
»Ei ja, ich habe wahrhaftig einen Schatz für Euch«, erwiderte Villasse.
»Wo habt Ihr ihn versteckt? In Eurer Tasche? Wie groß ist er?«
»Nun, er ist sooo groß, aber Ihr sollt ihn erst später haben, nicht sofort, mein hübsches Püppchen.«
»Erst später?« Laurette spielte die Schmollende. Aber was sah sie da in seinem Gesicht, als sie wie gewohnt unter ihren niedlichen Wimpern hervorlugte? Einen Anflug von Härte, einen Hauch von Zurückhaltung, eine Spur von Geistesabwesenheit? Hatte er in der großen Stadt eine hübschere, gebildetere, besser
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