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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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Jahren versichern, die anderer Leute Briefe liest, als Françoise hereingestürzt kam.
    »Sibille, Sibille! Tantchen hat ihren Lakai mit einem Hochzeitsgeschenk geschickt! Oh, wenn du seine schöne Livree siehst. Er trägt ein seidenes Wams in ihren Farben.« Ach, arme Sibille, dachte ich, das ist Galle und Wermut zugleich. Welch gräßliche Sünde hast du unbewußt begangen, daß dir Marter um Marter auferlegt wird?
    »Dann laß einmal sehen, was für ein Geschenk dieser verrückten alten Person diesmal eingefallen ist«, sagte Vater, als er feststellte, daß der Lakai sein Paket niemand anderem als mir übergeben wollte.
    »Da ist auch ein Brief von Madame Tournet«, sagte der Lakai und wich geschickt Vaters Zugriff aus.
    »Na schön, dann lies ihn, lies ihn«, drängte Vater. »Hoffentlich hat sie dir Geld geschickt und nicht wieder so ein albernes Buch mit Gedichten.«
    »Meine liebe Patentochter«, las ich laut vor. »Die Karten haben mir verraten, daß es Dir bestimmt ist, demnächst Dein Heim zu verlassen. Vergangene Woche habe ich auf dem Weg zur Messe Monsieur Villasse auf der Straße unweit Eures früheren Hauses gesehen und von einem Diener erfahren, daß Monsieur Dich ehelichen wird und daß dieser Tag nicht fern ist. Es sieht meinem Bruder ähnlich, mir das nicht mitzuteilen…« Bei diesen Worten unterbrach Vater höhnisch: »Glaubt die etwa, ich müßte ihr von all meinen Geschäften erzählen?«
    »Aber Vater, gewiß könntet Ihr sie einladen…«
    »Ich habe dir gesagt, ich möchte nicht, daß du sie jemals wiedersiehst, und das gilt für euch alle. Sie will doch nichts weiter, als euch zu sich in die Gosse ziehen, Schwester, pah! Meine Schwester ist tot!«
    »Vater«, wandte Isabelle ein, »sie lebt ganz und gar nicht in der Gosse. Ihr Haus ist sehr groß, und es liegt im besten Viertel der Stadt.«
    »Und ich hätte zu gern gesehen, wie es eingerichtet ist«, sagte Laurette.
    »Ich verbiete euch, je einen Fuß in dieses Haus zu setzen. Der Name Tournet darf in der Öffentlichkeit nicht über eure Lippen kommen.«
    Doch ich las weiter: »Man hat mir zwar seit Deinen Kinderzeiten nicht erlaubt, Dich wiederzusehen, aber durch Annibal habe ich erfahren, daß Du Dich so entwickelt hast, wie ich es erwartet habe.«
    »Warum darf Annibal sie sehen, wo sie doch meine Patin ist?« fragte ich. Und eine jähe Neugier veranlaßte mich, vom Brief aufzublicken.
    Mein Vater hatte eine steinerne Miene aufgesetzt. »Annibal ist ein Mann«, sagte er. »Lies den Rest vor.«
    »Tantchen hat ihm den schönen, schmucken Braunen gekauft, den er geritten hat. Das hat er mir erzählt«, zwitscherte Françoise dazwischen.
    »Pssst«, mahnte Mutter und legte Françoise die Hand auf den Mund.
    Ich las weiter. »Du mußt mein Geschenk immer bei Dir tragen, es soll Dir im Eheleben ein Trost sein. Lies darin, wenn Du allein bist. Es wird vieles lindern. Meine guten Wünsche begleiten Dich, was auch immer kommen mag. Ich bin wie stets Dein Dich liebendes Tantchen.«
    Ich wickelte die gewachste Seide von dem Päckchen, das mir der Lakai reichte. Es war ein schlichtes, in Kalbsleder gebundenes Buch, das für seinen geringen Umfang eigenartig schwer war. Ich schlug es an einer beliebigen Stelle auf und erblickte einen schönen Stich unseres Herrn, umgeben von bewaffneten Söldnern, wie er von einem finster aussehenden Burschen geküßt wird, dessen boshafter Blick mich unangenehm an meinen Zukünftigen erinnerte. »Passio domini nostri iesu xpi secundum Johannem«, stand in roten Buchstaben darunter. Ein Stundenbuch, ein ungemein schickliches und sehr geschmackvolles Geschenk, wenn auch nicht so großzügig, wie ich es mir erhofft hatte.
    »Ein Gebetbuch. Diese Frau ist wirklich zu jeder Heuchelei fähig«, empörte sich Vater, und ich war mir bewußt, daß er Geld erwartet hatte oder Brautgeschmeide. Werte, auf die er dann die Hände hätte legen und die er zu einem guten Zweck nach eigenem Belieben hätte verwenden können. Doch wie schön war das Buch gefertigt mit dem schlichten Kalbsledereinband, auch wenn ein paar bräunliche Flecken seinen Wert geringfügig schmälerten. Aber da war noch die Sache mit dem Gewicht. Ich drehte es hin und her und prüfte es erneut. Was soll dieses Gerede vom Alleinsein, dachte ich. Aber vielleicht ist es mehr als nur ein Tribut an mein zartbesaitetes Gemüt. Wenn ich allein bin, sehe ich mir den Buchrücken genauer an. Tante Pauline kennt Vater zweifellos besser als ich und hat vielleicht ein

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