Die geheime Mission des Nostradamus
hinauszögern. Eines Tages würde der Dauphin herrschen, Maria würde den Dauphin beherrschen, und ihre Onkel würden Maria beherrschen. Und nach Frankreich und Schottland auch England…
Unter einem grauen, schneeschwangeren Himmel ritten der König und der Dauphin mit hohen Beamten, Priestern, höheren Offizieren und einem ungemein langen Troß durch die Stadttore hinaus in die trostlose Winterlandschaft und auf Calais zu. Dort würden sie bunte Banner entrollen und triumphal Einzug halten, würden die Standhaften mit Ländereien und dem Recht auf Lösegeld für englische Gefangene von Adel belohnen, die entweihte Kathedrale reinigen und den katholischen Ritus wiederherstellen.
Daheim in Les Tournelles, innerhalb der Mauern von Paris, hatte Katharina von Medici ihre Antworten auf eine umfangreiche amtliche Korrespondenz zu Ende diktiert.
»Diese Bittgesuche können warten, bis der König, mein Gemahl, zurück ist«, sagte sie, nachdem sie mehrere versiegelte Dokumente gelesen und Robertet zurückgegeben hatte. »Aber die hier müssen sofort abgeschickt werden.« Sie traf, tüchtig, wie sie war, schnelle, methodische Entscheidungen. Doch es gelang ihr nicht, den Triumph in ihrer Stimme zu unterdrücken. Der König hatte ihr bis zu seiner Rückkehr die Regierungsgeschäfte übertragen. Ja, seit ihrem dramatischen Auftritt in Trauerkleidung vor dem Parlament und ihrer erfolgreichen staatsmännischen Bitte um Geld zollte ihr der König Achtung und beriet sich mit ihr in vielen Angelegenheiten. Während Robertet unter Verbeugungen rückwärts aus dem Zimmer ging, schickte sie nach ihren Hofdamen, die sie zur täglichen Messe in der Kapelle begleiten sollten. Danach käme das Diner, das stets mit der Präzision eines Uhrwerks aufgetragen wurde: der huissier de salle würde von dem écuyer mit dem Schlüssel gefolgt werden, anschließend traten der maistre d'hostel und der Vorsteher der Vorratskammer auf – so wurde die königliche Mahlzeit von dem wohlgeordneten Zug höherer Bediensteter und Pagen gereicht.
Formalitäten, dachte Katharina während der Messe, umgeben von ihren Frauen und Höflingen. Ordnung und Rituale binden die Menschen an Gott und auch an ihren König. Das ist das Geheimnis langlebiger Regierungen: Lasse keinen Fehler beim Ritual zu, keine Unordnung bei der Zeremonie. Dann geht alles gut. Ihre Gedanken schweiften ab zu dem unheiligen Ritual in ihrem kleinen Kabinett, wo sie sich dämonische Mächte gefügig machte. Auch dabei war Ordnung unerläßlich. Das richtige Ritual hatte diesen boshaften, untauglichen Menander schließlich zum Handeln bewogen, und nun sehe sich einer das Ergebnis an: Macht, Einfluß, alles auf höchst natürliche Weise, und die Herzogin von Valentinois schäumte vor Wut, weil Bittsteller nicht länger zu ihr, sondern zur Königin strömten.
Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus; jetzt wurde das Glöckchen am Altar geläutet. Lob und Dank sei Gott für meinen Sieg, dachte sie, die Tatsachen verdrehend, als der Priester die Hostie hochhielt. Ja, wenn sie länger darüber nachdachte, so hatte Gott ihr diesen herrlichen, persönlichen Triumph geschenkt. Gutes kam gewiß immer von Gott, daher war es zweifellos Gottes Werk, wenn ein so weiser und einfühlsamer Mensch wie sie in Staatsangelegenheiten den gebührenden Einfluß nehmen durfte. Nachdem Gott bewiesen hatte, daß er auf ihrer Seite war, sollte sie vielleicht die Beratungen mit diesem bösartigen kleinen Ding aufgeben und sich in ihrer Freizeit guten Werken widmen, um ihre Seele nach diesem kleinen Umweg zurückzukaufen…
Und der Tag blieb weiterhin wunderbar, während des Diners, während der Audienzen in der Galerie des Courges und am Abend, bei der ruhigen Unterhaltung und Lesung mit ihren Damen, die entweder an Stickreifen arbeiteten, Dame oder Tricktrack spielten oder sich dem Lesen erbaulicher Stoffe widmeten. Schließlich öffneten sich die Wolken über den zierlichen Türmchen, und die ersten weißen Flocken fielen zur Erde. Doch in dem mit Gobelins geschmückten Raum brannte ein helles Feuer im Kamin. Der Schein spiegelte sich in Katharinas Herzen. Sie saß auf einer gepolsterten Bank, hatte die Füße auf einen kleinen Schemel gelegt, blickte auf und musterte die sie Umgebenden.
»Was lest Ihr gerade?« fragte die Herzogin von Valentinois und beugte das spitze Gesicht über die Schulter der Königin.
»Eine Geschichte Frankreichs«, gab diese zurück, »und die berichtet mir, wie oft sich
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