Die geheime Mission des Nostradamus
war. Neben der Sänfte saß hoch zu Roß hinter einem Kammerdiener ein blasses dunkelhaariges Mädchen, dessen Augen strahlten, so begeisterte sie das Geschehen. Eine Hochzeit… Was konnte es Schöneres geben? Vor ihnen, auf dem Kathedralenplatz, hatten Tischler eine Plattform und einen Balkon errichtet, die jetzt mit grünen Ranken geschmückt wurden. Vor dem großen Portal der Kathedrale stellten Arbeiter einen Baldachin aus blauem Samt auf, auf dem goldene Lilien zusammen mit dem Wappen des frischgebackenen Königs von Schottland und seiner Königin prangten.
»Vater, müßt Ihr denn immer über die Kosten reden?« beklagte sich das dunkelhaarige Mädchen. »Ich bin überzeugt, daß der König keinen Gedanken daran verschwendet, wenn es um eine königliche Vermählung geht.«
»Viel Geschrei und wenig Wolle; seit er im vergangenen Januar die Stände zusammenrufen mußte, hat der König immer wieder Geld hierfür eingetrieben. Ja, ja, die Bankiers von Lyon haben sich geweigert, ihm noch einen sou vorzuschießen, also mußte er das Geld aus den Städtern herauspressen.«
»Eine billige Hochzeit hätte bedeutet, daß er den Krieg nicht finanzieren kann; daraufhin hätte König Philipp seine Anstrengungen verdoppelt. Man sollte niemals am Erscheinungsbild sparen, Sibille, denk daran«, riet die füllige Dame ihrer Gefährtin in der Sänfte.
»Ich habe dort rechts oben ein Fenster gemietet, von dort können wir uns den Hochzeitszug ansehen«, sagte der Mann mit dem quadratischen Bart. »Da habt Ihr einen wunderbaren Blick.«
»Ich möchte keine Einzelheit verpassen.« Die füllige Dame ordnete die Falten ihres Schleiers. Als sie dann ihr gemietetes Fenster erreicht hatten, war der Platz so voller Menschen, daß Pikeniere dem Zug gewaltsam eine Gasse bahnen mußten.
Endlich vernahmen die Zuschauer auf dem Platz den Trompetenschall im bischöflichen Palast, der verkündete, daß der Hochzeitszug zur Kathedrale aufgebrochen war. Musik und Jubelrufe der Menge drangen immer näher, und schließlich tauchte der Zug auf. Dutzende von Musikanten, alle in Rot und Gelb, führten ihn an, zuerst die Trommler und Trompeter, die die Menge auf dem Platz vor sich teilten, dann die Oboen, Flageoletts, Violen, Gitarren und Zithern. Die Erregung der Menge wuchs, als einhundert Edelleute des königlichen Hofs erschienen, gar prächtig anzusehen in ihren satingepaspelten Umhängen, schweren Seidengewändern, brokatenen Wämsern, über und über mit Schmuck behangen. Sie trugen Goldketten, juwelenbesetzte Hutbroschen und Federn, kostbar bestickte Strumpfbänder und gebauschte Kniehosen. Das Gebrummel und Gemurmel der Menge wurde lauter: Da ist Vielleville! Da ist Nevers! Bist du sicher? Sieh nur, wie groß sein Goldmedaillon ist! Es folgten die Herren und Fürsten der Kirche. Äbte, Bischöfe und Erzbischöfe schritten vor den Kardinalen Bourbon, Lothringen, Guise, Sens, Meudon und Lenoncourt, allesamt prachtvoll in roter Seide und mit roten, eckigen ehrfurchtgebietenden Hüten.
»Der Dauphin, da ist er. Da ist der Bräutigam!« riefen die Späher in der Menge. Gesichter drängten sich an die Fenster über dem Platz.
»Wer ist das neben ihm? Aha, der König von Navarra!«
Auf ihrem Ausguck über der Menge erhaschte Madame Montvert den ersten Blick auf König Heinrichs Erstgeborenen und Erben. »Der sieht für vierzehn aber furchtbar klein aus«, sagte sie.
»Er wächst gewiß noch«, sagte ihr Gatte. »Man behauptet, daß er eines Tages ein großer König wird. Ich habe gehört, Nostradamus soll es höchstpersönlich vorhergesagt haben.«
»Ach, da kommt die Braut! Nun seht euch das Kleid an!« rief Clarette. »Und das da ist der König! Genau wie sein Porträt auf der Münze!« Unter dem Fenster, inmitten der geteilten Menge, die von Wachmannschaften zurückgehalten wurde, schritt Maria, Königin der Schotten, zwischen dem König selbst und ihrem Onkel – dem Helden des Tages, Herzog von Lothringen – zur Hochzeitsmesse. Bei ihrem Anblick wurden die Jubelrufe, die für den Dauphin etwas verhalten geklungen hatten, lauter und glichen einem Donnerhall. »Lang lebe der König!«
»Lang lebe der Herzog!«
»Lang lebe… lang lebe…« Und die Braut, gerade sechzehn geworden, hochgewachsen und rosig-weiß, was für eine Schönheit! »Lang lebe… lang lebe…«, schrie die Menge. Ihr Kleid war ein wahres Wunderwerk, von dem man noch oft am Kamin erzählen würde: Silberbrokat, geschmückt mit kostbaren Steinen, darüber ein Cape
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