Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
Vom Netzwerk:
Paris durchaus noch retten, sagt er.«
    »Das ist wunderbar, Clarette.«
    »Und noch etwas wird Euch freuen, Sibille. Vater hat geschrieben, daß er nächste Woche einen Kurier nach Genua schickt, und wenn Ihr Nicolas in dem Paket einen Brief mitschicken wollt…«
    »Nicolas! Aber natürlich doch. Ich schreibe ihm noch heute!«
    »Seht ihr? Ich habe gewußt, daß Euch das aufmuntert. Sibille, es wäre mir eine große Freude, wenn wir irgendwann Schwestern würden… Ich weiß, daß ich Euch Laurette niemals ersetzen kann.«
    Ich hatte das unbestimmte Gefühl, daß das auch gut war. Nicolas, ach, wenn er doch nur hier wäre, alles käme in Ordnung. Plötzlich traf es mich wie ein Blitz: Menander mußte seine Macht verloren haben. Er begleitete mich nicht mehr, wenn ich für längere Zeit das Haus verließ, auch hatte sein Kasten den schimmernden Glanz verloren, und wenn er einen Kratzer abbekam, heilte der nur sehr langsam. Bisweilen, wenn Menander gründlich nachdachte, schien sein Kasten durchscheinend zu werden. Ja, ganz klar, seine Kraft war am Schwinden. Aber war dann nicht auch das größte Hindernis gegen meine Heirat mit Nicolas beseitigt? Wenn es doch nur einen Weg gäbe, die drohende Hinrichtung für das illegale Duell zu umgehen, damit Nicolas endlich aus seiner Verbannung zurückkehren könnte.
    An diesem Abend nahm ich nach dem Abendessen eine Kerze mit in mein Zimmer und stöberte unter meinen Sachen nach Papier und Feder. Ich will Nicolas einen wunderschönen Brief schreiben, dachte ich, mit Anspielungen über Menanders Schicksal, die nur er deuten kann. Als ich so in meinem Schreibtisch herumkramte, erblickte ich unter leeren Blättern etliche meiner neuesten poetischen Bestrebungen, von denen drei in der Rohfassung von den Hofdamen hoch gepriesen worden waren.
    Ich nahm meine Gedichte zur Hand und ging sie durch. Es wird mir guttun, meine Werke zu bewundern, dachte ich. Nach all den Schrecken endlich Kunst… Doch statt des gewohnten, warmen Gefühls der Befriedigung, das mich von Kopf bis Fuß zu durchrieseln pflegte, war mir, als läse ich mein Werk durch ein entstellendes Vergrößerungsglas. Wie gestelzt, wie geziert, wie bar aller echten Gefühle diese Gedichte waren! Mechanische Schöpfungen und dazu bestimmt, Leuten ohne Geschmack zu schmeicheln, dazu angetan, mir selbst zu schmeicheln. Mein Gott, sieh dir das hier an, das über den Tod. »Oh, Gewand trostloser Trübsal, umhülle mich…« Und dann das über die Jahreszeiten, voller schiefer Bilder und Schäferinnen namens Phyllis. Wie gräßlich! Wie war ich doch hohlköpfig und eitel gewesen! Wie hatte ich nur so wenig vom Leben begreifen können! Mir war hundeelend ob meiner schlechten Gedichte und meiner verlorenen Liebe.
    Mein Brief. Mein Brief an Nicolas. Ich mußte mich zum Schreiben zwingen. Entschlossen nahm ich mir ein Blatt Papier und tauchte die Feder in das Tintenfaß. Doch in meinem Kopf pochte es gar eigentümlich, und ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören, als ich die ersten Worte oben auf die Seite setzte. Vor meinem geistigen Auge stand Nicolas' Bild. Alles in mir, alles in mir gehörte ihm, nur ihm allein. »Geliebter, du angebeteter Wärter meines Herzens«, schrieb ich, doch danach wußte ich nicht so recht, wie ich das, was sich zugetragen hatte, in Worte fassen sollte. Unvermittelt stiegen mir aus den Tiefen meines gebrochenen Herzens ganz andere Worte in den Kopf und fügten sich ohne mein Zutun aneinander. Rhythmus und Versmaß flossen so natürlich auf das Papier, wie mein Blut pulsierte. Mir war heiß, ich fieberte, dann zitterte ich am ganzen Leib. Die Feder, die Feder schrieb wie besessen, und aus ihr floß ein Gedicht – ein Gedicht, wie ich noch nie eins geschrieben hatte und vielleicht auch nie wieder schreiben würde. Qual und Flamme auf Papier. Ein Schmerz, als würde ich ausgeweidet, die darauffolgende Erschöpfung wie der Tod.
    »Ich glaube es auch kaum. Ich habe nicht gedacht, daß du die Gabe hättest«, sagte eine körperlose Stimme. Hoch oben, in der Ecke dicht unter der Decke, glühte ein Paar gelbe Augen, eingerahmt von den verschwommenen Schatten rabenschwarzer Flügel mit glitzernden Einsprengseln.
    »Habe ich auch nicht, Monsieur Anael«, erwiderte ich, denn ich hatte den Vertrauten von Nostradamus erkannt. »Das hier war… zu schmerzhaft, das schaffe ich nicht noch einmal.«
    »Ja, so geht es. Und du wirst feststellen, daß es auch nicht auf Befehl klappt. Darum ist höfische Poesie

Weitere Kostenlose Bücher