Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
Vom Netzwerk:
und elegant zustande gebracht wie in meiner Vorstellung? Und was war das für ein Laut, den ich da hörte? O Gott, der Bischof hatte die Hand vor den Mund gelegt. Dieser Laut. Ich bin verloren, dachte ich, denn ich war mir sicher, daß der Bischof die Nase gerümpft hatte.
    »Nun«, sagte er leise bei sich, »mir will scheinen, Pauline hat eher mir einen Gefallen getan.« Er musterte mich neugierig. »Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet Ihr von der ganzen Familie zu mir kommen würdet? Mir scheint, Ihr seid ihm treu ergeben.«
    »Nein – mein Vater ist ein bedeutender Mann. Er verdient es nicht…«, sagte ich.
    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte der Bischof. »Die Beweise sind fadenscheinig.«
    »Sie sind gefälscht, allesamt gefälscht.« Ich wischte mir die Augen unter diesem Hauch von einem Schleier, damit ich mich wenigstens einigermaßen würdig und schicklich verabschieden konnte.

    »Nun?« fragte Tantchen, als ich ihr den Ring zurückgab. »Bist du empfangen worden?«
    »Ja, ma tante, aber ich war viel zu ängstlich und habe nur das Falsche gesagt. Ich habe es nicht geschafft, Tantchen, und nun verlieren wir alles. Was sollen wir nur tun? Wovon sollen wir leben?« Wir waren in Tantchens prächtigem, vergoldeten Empfangszimmer, wo sie auf ihrem gepolsterten Stuhl thronte und die Samtvorhänge gegen die gefährliche Mittagssonne fest zugezogen hatte. Draußen konnte ich die Straßenhändler hinter dem Hoftor gedämpft ihre Ware ausrufen hören. Leben und Luft schienen sehr fern zu sein. Ich hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Vater. Alles verloren. Auf dem Tisch neben ihr lag ein Buch Über die Wahrnehmung von Geistern, und das geprägte Lesezeichen schaute aus der Mitte hervor.
    »Schade«, sagte sie. »Ich dachte, sein Gedächtnis wäre noch ein wenig besser. Das Alter setzt vermutlich allen zu.« Sie seufzte und hob die Schultern. »Vermutlich könntest du hier wohnen. Und deine Mutter – sie war meine beste Freundin, ehe sie meinen Bruder geheiratet hat, hast du das gewußt? Jetzt hätte ich sie gern zur Gesellschaft hier. Aber deine Schwestern – ich befürchte, daß sie es hier nicht aushalten. Zu zart, zu nervenschwach.« Für einen Augenblick ärgerte ich mich. Ich meine, schließlich bin ich die Empfindsame und viel zarter als sie. Empfindsamkeit, die aus Klugheit erwächst, ist weitaus empfindsamer als schlichte weibliche Schwäche.
    »Was meinst du damit?« fragte ich.
    »Siehst du das da drüben?« sagte sie und griff zum Spazierstock, der am Tisch lehnte, und zeigte in Richtung des Vorhangs. Eine leichte Brise bauschte ihn, und in der oberen rechten Ecke, dicht unter der Decke, hing etwas Verschwommenes, fast wie ein Nebel.
    »Aber ja doch«, sagte ich. »Der Vorhang bewegt sich. Steht das Fenster offen?«
    »Genau das meine ich. Selbst Annibal hat geschaudert, als er gesehen hat, wie sich der Vorhang bewegte, und dabei brauchte er so dringend Bargeld für die kleine Stute. Und deine Schwestern – o je! Die würden es hier gewißlich nicht lange aushalten. Aber du, du fragst schlicht, ob das Fenster offensteht. Nein, das ist nicht der Fall. Es ist Dona Vargas y Rodriguez. Sie darf bleiben, weil ich ihre Gesellschaft mag. Sehr vornehm, ausgezeichnete Konversation, auch wenn ihr Französisch schlecht ist.« Sie blickte hoch und sprach zu dem Vorhang. »Alles in Ordnung, Dolores, das hier ist eine Verwandte. Du kannst hervorkommen. Sibille, darf ich bekannt machen: Dona Dolores ist wohlerzogen, sie materialisiert sich nicht ohne förmliche Vorstellung.« Und dann stellte mich Tantchen der Luft vor – und die Luft mir. Alles sehr, sehr eigenartig.
    Doch als ich die Stelle beobachtete, mit der sie redete, nahm der Nebel allmählich die Gestalt einer schlanken, jungen Frau in einem schweren spanischen Seidenkleid an. Ihr üppiger, spitzer, überall mit Perlen besetzter Kopfputz schmiegte sich an den Kopf, ihre dunklen Augenbrauen waren beweglich und ausdrucksvoll, ihre Augen und ihr Mund wie verborgene Teiche. Und die Kehle war ihr von einem Ohr zum anderen durchgeschnitten. Der schwarze Schatten geisterhaften Blutes tränkte ihr Kleid bis zum Saum. Unwillkürlich überlief es mich kalt. Doch der Geist, denn das war sie offensichtlich, schien von meiner Reaktion peinlich berührt und zog sich mit einem abbittenden Lächeln einen leichten Schal über den Hals.
    »Siehst du? Was für eine Dame. Sie ist mein Liebling. Nicht alle sind so rücksichtsvoll wie sie.« Der Mund der nebligen

Weitere Kostenlose Bücher