Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
Vom Netzwerk:
genug, um ihnen ein anderes Haus zu kaufen. All diese Aussteuern – nein, das geht wirklich nicht. Hercule konnte es nicht, und ich sehe nicht ein, warum ich es tun soll. Vor allem weil er so überaus gern Monsieur Tournets beflecktes Geld angenommen hat, als der noch lebte, aber mit mir, seiner eigenen Schwester, wollte er kein einziges Wort mehr sprechen. Was ihm zugestoßen ist, auch wenn es auf falschem Zeugnis beruht, ist seine gerechte Strafe.« Bei diesen Worten nickte Dolores' Geist erfreut Zustimmung, doch ich war wie betäubt. Keine Hilfe vom Bischof, keine Hilfe von Tante Pauline. Was konnte Annibal da noch ausrichten? Wenn er hier eintraf, wäre es zu spät. Die Verbrennung wurde immer gleich nach dem Ende des Verhörs angesetzt. Selbst ich wußte das. Ob man das Verhör in die Länge ziehen konnte? Sollte ich eine andere Bittschrift, eine schönere, überarbeitete dem Kardinal von Paris überbringen? Aber wie eine Audienz bekommen?
    »Du siehst blaß aus, mein Schatz. Das macht dieses gräßliche Kleid. Du brauchst leuchtendere Farben, die deinen Teint besser zur Geltung bringen. Und eine warme Mahlzeit. Essen hilft in jeder Lebenslage. Und wie du siehst«, sagte sie und deutete auf ihre üppige Figur, »habe ich jede Menge Hilfe benötigt.« Sie stieg ächzend die Treppe hinauf, und ich folgte ihr zu ihren eigenen Räumen, die voller Möbel standen: ein riesiges Bett mit geschnitzten Amoretten, die einen Betthimmel trugen, Stühle, Truhen, silberne und goldene Kerzenhalter, Teller, Becken und Wasserkrüge aus feinem Porzellan, alles mit goldenen und bunten Emaillemustern, Figurinen von Göttern und Göttinnen aus der griechischen Mythologie und mehrere Schränke, die schier überquollen von kostbaren Hofgewändern aus Samt und Seide in allen Stilarten und Größen.
    »Die habe ich früher alle getragen«, sagte sie. »Ich weiß, du glaubst mir nicht, aber in meiner Jugend war ich genauso rank und schlank wie du jetzt, nur natürlich nicht so groß. Laß sehen… ein Morgenmantel… Tageskleid, ja, das blaue ist nett… und das hier. Etwas für den Abend – die Schuhe passen natürlich überhaupt nicht –, deine Füße zählen nicht gerade zu deinen Vorzügen, mein Schatz. Sie sind viel zu groß. Wir müssen sie kleiner wirken lassen. Längere Kleider vielleicht, aber keine Volants… schlichte Säume, den Zierat oben, damit er das Auge ablenkt.«
    Ich wußte, sie meinte es gut, doch während sie in den Schränken herumkramte und Selbstgespräche führte, verwandelte ich mich vor meinem inneren Auge allmählich in einen knochigen Lulatsch mit Riesentretern, statt das zartbesaitete und poetische Naturgeschöpf zu sein, für das ich mich lieber hielt. Dies brachte mich mehr durcheinander als die Geister. Das heißt, bis ich merkte, was sich auf ihrem Frisiertisch tat.
    »Tantchen, sieh dir deinen Frisiertisch an«, sagte ich, und sie zog den Kopf aus dem grüngoldenen Schrank in der Ecke. Auf der mit Elfenbein und Lapislazuli eingelegten Tischplatte schimmerte etwas Durchscheinendes.
    Tantchen kniff die Augen zusammen und griff zu ihrem Spazierstock. »Du schon wieder! Habe ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?«
    »Ich warne dich, du alte Kuh, verbeule nicht noch einmal meinen Kasten, sonst wirst du dafür teuer bezahlen.« Das schimmernde Ding hatte sich jetzt gänzlich materialisiert. Von seinen Kanten tropften Reste von Flußschlamm. Es war die versilberte Schatulle mit dem gräßlichen Kopf im Innern.
    »Meine liebliche, törichte Sibille. Ich habe dir doch gesagt, daß ich dich nie wieder verlasse«, rief es aus dem Kasten. Und in diesem Augenblick, in einem Zustand des abgründigsten Entsetzens, überkam mich die Versuchung. Sie wuchs wie blindes Verlangen. Schon wollte ich den Kasten öffnen und – ja, ich wollte mir kleinere Füße wünschen. »Spürst du es? Spürst du das Verlangen? Oh, mach meinen Kasten auf und sprich die Worte, dann erfüllt sich dein Herzenswunsch.«
    »Hör nicht auf das Ding da«, befahl Tantchen. »Es führt dich auf geradem Weg in die Hölle. Mit dem Bösen kenne ich mich bestens aus.«
    »Aasgeier«, meckerte das Ding im Kasten. »Du kommst als nächste dran.«

    Cosmo Ruggieri saß in seinem Turmzimmer in einer neuen schwarzen Lederweste und ledergesäumter Kniehose, in deren Schlitze schwarze Wollstreifen eingelassen waren. In dieser Montur sah er aus wie ein Riesenkäfer. Vor ihm kniete sein Diener Giovanni, der Mann mit dem Ohrring, der Simeonis Kurier

Weitere Kostenlose Bücher