Die geheime Mission des Nostradamus
habe gewußt, daß es so sein würde.«
Tantchen legte das Leseglas beiseite, schloß den Vorhang und sperrte damit den winzigen Sonnenstrahl aus, der ihren reichverzierten Schreibtisch beleuchtet hatte. »Sonne«, so sagte sie, während sie mein Gesicht eingehend musterte, »nichts schadet dem Teint mehr. Sieh dir meinen an. Keine einzige Runzel. Und du bist bereits gebräunt. Zuviel Sonne, nachdem ihr aufs Land gezogen seid. Bald kommen Fältchen, dann Falten und Hängebacken, und schon siehst du nicht besser aus als der vertrocknete alte Kopf in dem Kasten, den wir gerade hinausgeworfen haben. Oh, schau nicht so entsetzt. Noch ist es nicht zu spät. Du mußt lediglich ein Schönheitsprogramm befolgen. Noch heute nachmittag, wenn du vom Bischofspalast zurück bist, verbrennen wir die abscheulichen Kleider, die du mitgebracht hast, und dann ruhst du eine Stunde mit einer Gesichtsmaske aus Gurkenscheiben und Sahne, mein eigenes Rezept.« Sie läutete ihr Glöckchen. Erschrocken musterte ich mein Kleid. In ihrem reichen, wenn auch recht heruntergekommenen Haus wirkte es auf einmal kläglich, ländlich-bieder und zu kurz, und eine Schleppe hatte es auch nicht.
»Sehe ich denn so schlimm aus? Mein Kleid…«
»Du hast doch wohl nicht vor, das da anzuziehen? Hochgestellte Persönlichkeiten lassen sich durch Armut nicht beeindrucken. Das bilden sich nur die Armen ein. Schwarze Seide, ja, da habe ich aus meinen schlankeren Tagen genau das Richtige für dich. Amalia hat es gestern abend für dich länger gemacht.« Sie musterte meine Gehwerkzeuge mit abschätzendem Blick. »Diese Füße, o je, die müssen dein kleines Geheimnis bleiben.« Darauf legte sie den Kopf schräg, als dächte sie nach. »Das Haar, ja, es glänzt, auch wenn es eine gewöhnliche Farbe hat – der Hauch eines Schleiers. Er wird sich für dich erwärmen, ehe du auch nur ein Wort gesagt hast. Und, ja, tu mir einen Gefallen. Trag diesen Ring. Er wird dir Glück bringen.« Sie kramte in der Schreibtischschublade und förderte einen seltsamen alten Ring aus Rotgold mit üppigem Blumenmuster zutage, in den die Buchstaben ›P‹ und ›M‹ eingraviert waren. Winzige Brillanten überrankten die Buchstaben. Es war ein Frauenring und für einen schmalen kleinen Finger gedacht.
»Oh, ist der hübsch, den kann ich nicht…«
»Nur heute, mein Schatz«, sagte sie und steckte ihn mir an den Finger, wo er für meine knochige braune Hand viel zu prächtig wirkte. »Er ist eine Art Andenken. Aber heute wird er dir Glück bringen. Ach, da bist du ja, Arnaud. Georges soll Flora Sibilles Damensattel auflegen. Dazu die samtgesäumte Decke mit der Goldstickerei, die ich sonntags benutzt habe, als ich noch auf einem Pferd sitzen konnte. Denk daran, Sibille. Eine Dame setzt nie einen Fuß auf die Erde, sie geht nicht einmal über den Domplatz. Und nur eine Provinzgans käme auf die Idee, mit diesem albernen Packpferd deines Vaters zu reisen. Selbst er würde auf ihm nicht in die Stadt reiten. Ich habe dich gerade noch rechtzeitig in die Hand bekommen, ehe du ein hoffnungsloser Fall geworden wärst.«
Ich muß eine geheimnisvolle Figur abgegeben haben, eine verschleierte Frau auf einem schmucken, grauen Damenpferdchen mit zwei livrierten Lakaien. Schwitzende Händler, eine Wäscherin mit ihrem Korb, zwei Schreiber im Gespräch, herumlungernde Jungen und sogar die Bettler im Schatten des Kathedralenportals blickten kurz zu mir hin, dann wandten sie sich ab, als ob auch Gaffen bei der Hitze zu anstrengend wäre. Immer wieder probte ich meine Rede und fand sie von Mal zu Mal schlechter. Beim Gedanken an meine Bittschrift wäre ich am liebsten im Boden versunken. Das Werk einer Törin, einer Unwissenden. Wenn sie doch nur in Latein von einem gewitzten Advokaten aufgesetzt worden wäre.
Einer von Tantchens Lakaien hielt das Pferd auf dem Hof des bischöflichen Palastes am Zügel, während mir der andere beim Absteigen behilflich war. Wieder gafften Diener auf Botengängen, ein Priester hielt im Gebet inne und rümpfte mißbilligend die Nase, und zwei gutgekleidete ältere Männer in schweren Seidengewändern und mit Goldketten behangen blieben oben auf der Treppe stehen und musterten mich. Ein, zwei Schritte hinter ihnen, so als wollte er nicht in ihrer Gesellschaft gesehen werden, schlenderte ein großer, schlaksiger junger Mann. Die vornehme Kleidung paßte nicht zu ihm, so als hätte man ihn überfallen und sie ihm unter Todesandrohungen aufgezwungen, und sie befand
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