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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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Dame öffnete sich, um lautlose Worte zu formen. »Kannst du sie hören?« fragte Tantchen. »Nein? Na ja, das wird schon noch. Dazu braucht man Übung. Sie erzählt dir ihre Geschichte. Das muß sie immer, ehe wir es uns zu einem anständigen Tratsch unter Frauen gemütlich machen. Sie hat mir ein paar hervorragende Rezepte gegeben.«
    »Aber ihre Geschichte?« Der Geist der Dame war gerade bei einer sehr dramatischen Stelle in seinem Bericht angelangt, denn Dolores warf den Schal ab und entblößte ihre tödliche Wunde.
    »Sie war jung verheiratet und mit ihrem Mann auf einer Galeone, die nach Neuspanien segelte, als Kapitän Tournet sie wegen ihres Brautschmuckes und ihrer Aussteuer ermordete, nicht ohne zuvor Ungehörigkeiten ausgesprochen zu haben, die nichts für die unschuldigen Ohren einer jungen Frau sind.«
    »Aber dein Mann…«
    »Mein Schatz, deine Familie hat mich zweifellos immer schlechtgemacht. Aber hat man dir denn nie erzählt, wie Monsieur Tournet sein Vermögen verdient hat?«
    »Nur, daß er nicht gesellschaftsfähig war.«
    »Ha! Das sieht Hélène ähnlich. Über ihre Lippen ist nie ein böses Wort gekommen, solange wir noch gute Freundinnen waren. Sie übt sich in Verniedlichungen, deine Mutter! Sibille, mein Schatz, mein Mann war, freiheraus gesagt, Pirat. Oder, freundlicher ausgedrückt, Freibeuter mit einem Freibrief. Der berüchtigte Kapitän Jean Tournet, der so manche Privatflotte für Seine Majestät von la Rochelle aus befehligte. Hätte er ein älteres Wappen gehabt, er wäre, nachdem er zu Reichtum gelangt war, durchaus gesellschaftsfähig gewesen. Und man sollte meinen, unter den vielen Leuten, die es durch Verbrechen zu etwas bringen, wäre er nicht weiter aufgefallen.« Tantchen seufzte, hob die Schultern und spreizte die molligen weißen Hände. »Aber ihn hat man verfolgt. Von Meer zu Meer, und dann von Ort zu Ort. Wir haben einst zwei prachtvolle Häuser am Meer besessen, dazu ein Anwesen im Norden und dann das kleine hier, im Land meiner Vorfahren, das er mir zuliebe gekauft hat. Nicht eines, das nicht von Geistern wimmelte. Welcher ehrbare Mensch würde schon ein Haus besuchen, in dem sie sich aufhalten? Versteh mich recht, er hat nie von seinen Morden gesprochen, aber die Geister sitzen in den Wänden und raunen.«
    Aha, dachte ich. Das erklärt das seltsame Geraschel, das ich zuweilen in der Wand gehört habe. Ich dachte, es wären Mäuse. Gespenster jagen mir keinen Schrecken ein. Doch der Gedanke, daß Monsieur Tournet möglicherweise von niedriger Herkunft war… und ich dachte immer, Vater sei überheblich, übertreibe… angenommen… oh, du liebe Zeit… war dieser verworfene Kerl gar mein Patenonkel? Wie überaus peinlich. Ich wagte es nicht, Tantchen danach zu fragen.
    »Dieses Haus, dieses Vermögen ist wie so viele andere vollkommen in Blut gebaut. Oh, sei nicht so entsetzt. Woher, glaubst du, stammt das Geld auf dieser Welt? Von Arbeit? Nein, von Diebstahl. Die Neue Welt hat den spanischen König reich gemacht – und auf Umwegen auch uns. Monsieur Tournet hat sich fern vom Meer zur Ruhe gesetzt und versucht, ein Mann von Stand zu werden. Du weißt ja, wie das abläuft; eine ehrbare Ehe schließen, ein bankrottes Anwesen erwerben, ein großes Haus bauen, Geld für gute Zwecke spenden. Bei ihm hat es nicht geklappt. In seinen Häusern waren zu viele Geister. Die meisten sind hier mit eingezogen, als ich nach seinem Tod die anderen Häuser verkaufte. Der Schmuck, das Gold, die jämmerlichen Dinge, deretwegen sie sterben mußten, daran hängen sie. Siehst du die Kerzenhalter dort drüben?« Sie wies auf ein Paar große goldene Kandelaber auf dem Boden. Hinter ihnen konnte ich schwach eine Reihe fremdartiger Männer mit unbewegten Gesichtern und Federumhängen ausmachen. »Mit Sicherheit aus einem eingeschmolzenen Götterstandbild gefertigt«, sagte sie. »Das waren nicht wir, nein, die Spanier. Man sollte meinen, sie würden in den Kirchen von Toledo und Madrid spuken, wo man aus ihren Schätzen Kirchenschmuck herstellte. Aber nein, sie müssen sich auch noch hier einnisten. Vielleicht weil ich zu gastfreundlich bin.« Sie seufzte.
    »Ich weiß auch nicht, warum sie bei uns sind, da so viele andere sie auch verdienen. Na schön. Sie leisten mir Gesellschaft. Wenn sie Ruhe geben, lasse ich sie nicht exorzieren – das ist nämlich sehr teuer und bringt alles durcheinander. Aber deine Familie, ja – die wäre nicht so beherzt wie du. Und ich bin wirklich nicht reich

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