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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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hochkrempelte.
    Bei ihrem letzten Besuch hatten sie auch hier gesessen, aber da hatten die Tische zusammengestanden und es war trotz der Kerzen und des sternklaren Himmels zu dunkel gewesen, um viel zu erkennen. Jetzt konnte Wanja zum ersten Mal die Umgebung sehen und stellte fest, dass der Platz, auf dem der Zirkus gastierte, wirklich in den Bergen lag.
    Wie eine Hintergrundkulisse umrahmten die steinernen Riesen den Horizont oder zumindest das, was Wanja von ihm sah. Die Aussicht zur rechten Seite versperrte das blaurot gestreifte Zirkuszelt, aus dem sie und Mischa vorhin gekommen waren. Links davon im Schatten der Bäume entdeckte Wanja zwei weitere Wohnwagen, der eine war gelb, der andere hellgrün gestrichen. Dahinter schien noch ein dritter Wagen zu sein, von dem aber nur das dunkle Hinterteil hervorragte. Die steinige Erde war ockerfarben, nur wenig dunkler als die Mangomilch, von der Perun jetzt zwei neue Gläser aus der Cafeteria brachte. Eins stellte er vor Taro, das andere vor Mischa, als hätte er sein Kopfschütteln vorhin nicht bemerkt.
    »Wo liegt Imago eigentlich genau?«, fragte Wanja, die ihr Glas bereits halb leer getrunken hatte. Taro hob erstaunt die Augenbrauen. »Na hier«, entgegnete er.
    »Ja.« Wanja verzog den Mund. »Das weiß ich auch. Aber wo ist hier?«
    Taro sah sich um. »Hier ist hier, wenn mich nicht alles täuscht.«
    Perun, der noch an ihrem Tisch stand, lachte sein rostiges Nägellachen, doch in Wanja hatten sich schon wieder jede Menge Fragen angesammelt.
    »Und wo kommt ihr alle her?«
    Taro rührte in seiner Mangomilch. »Von überall und nirgends«, erwiderte er, »wie alle Zirkusleute.«
    Wanja stöhnte auf, doch als um Taros Mundwinkel wieder dieses Lächeln spielte, fand sie sich damit ab, dass richtige Antworten hier offensichtlich nicht zu erwarten waren.
    Der Akrobat trug ausgeblichene Hosen und ein rotes Hemd. Um den Hals hatte er ein Lederband, an dem eine silberne Pfeife hing. Auch sein schwarzes Haar wurde wieder von einem ledernen Band am Hinterkopf zusammengehalten und unwillkürlich verglich Wanja den glänzenden Schopf mit dem schmierigen Zöpfchen ihres Mathelehrers.
    »Willst du eigentlich gar nicht wissen, woher wir kommen?«, fragte sie schließlich.
    Perun war bereits zurück in den Zirkuswagen gegangen und Taro erwiderte Wanjas Blick, ruhig und offen.
    »Ihr seid hier«, sagte er. »Das ist alles, was ich wissen muss.«
    Wanja schwieg, und als hätte Taro das leise Gefühl von Scham, das plötzlich in ihr aufstieg, gespürt, legte er seine Hand auf ihren Arm.
    »Wozu habt ihr Lust?«, fragte er. »Soll ich euch was von der Umgebung zeigen?« Diesmal zwang Wanja sich den Mund zu halten. Sie wollte Mischa die Antwort überlassen. Der stellte jetzt sein leeres Glas vor sich ab und hob den Kopf. Doch gleich darauf senkte er ihn wieder, starrte auf die Tischkante und trommelte leicht mit den Fingern darauf herum. Sein Schweigen zerrte förmlich an Wanja, aber Taro schien es nichts auszumachen. Ruhig saß er da und wartete ab, während seine Hand noch immer auf Wanjas Arm lag.
    In die Stille trat jemand. Es war Sulana, das Schlangenmädchen. Völlig lautlos war sie aufgetaucht und Wanja lief ein Schauer über den Rücken. Um den Hals des Mädchens lag die Schlange, jetzt sah Wanja sie ganz nah. Wie groß sie war. Viel zu schwer schien ihr der grünbraun geschuppte Schlangenkörper für die schmalen Schultern des Mädchens, aber Sulana trug das Tier wie einen Seidenschal. Den Kopf der Schlange hielt sie mit ihrer Hand umschlossen, und als sie näher trat, wurde Wanja vor Angst ganz steif. Taros Hand drückte sich noch fester auf ihren Arm. »Keine Sorge, Wanja. Die tut nichts. Stimmt’s Sulana?«
    Sulana nickte nur kurz in Wanjas Richtung. Dann wandte sie sich Taro zu. Sie hob ihre Hand und bewegte die Finger in einer Art Zeichensprache, die Taro jetzt erwiderte. Sulana nickte und ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    Wanja schluckte. War das Mädchen etwa … »Sulana ist stumm«, vollendete Taro ihre Gedanken.
    Wanja sah Sulana hinterher. Sie war barfuß, ihr grünbraunes Kleid war fast identisch mit der Schlangenhaut und gerade fragte sich Wanja, was das Mädchen wohl von Taro hatte wissen wollen, als Mischas Stimme ihre Gedanken unterbrach.
    »Zeig mir deine Trommel.«
    Wanja zuckte zusammen. Mischas Worte klangen nicht wie eine Bitte, sondern wie ein Befehl, aber auch das schien Taro nicht zu stören. Er nickte Mischa zu und erhob sich

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