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Die geheime Reise

Titel: Die geheime Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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das beim letzten Mal geweint hatte, verschwand als Erstes in ihrer Arkade. Auch der dicke Junge sah aufgeregt aus, und als Wanja mit Mischa vor Taros Bild stand, dachte sie wieder an den Wunsch, den sie beim Ausblasen der Kerzen gehabt hatte. Ich wünsche mir, dass alles gut wird.
    Das Trapez auf dem Bild war auch heute wieder leer, aber als Wanja und Mischa eintraten, waren alle Artisten in der Manege versammelt. Sie saßen auf dem Boden und bildeten einen Halbkreis um Baba. Taro kniete neben Sulana und winkte Wanja und Mischa zu sich. Und wo war Gata?
    Da saß sie ja, neben Pati Tatü, der zum Gruß ein geblümtes Käppi von den Blumenkohllocken zog und sich vor den beiden verbeugte. Auch Gata grinste. Ihr Fuß war verbunden, aber ansonsten sah sie aus wie immer, gut aufgelegt und katzenhaft, mit ihren verwuselten Haaren.
    »Alles in Ordnung«, flüsterte Taro Wanja zu und legte seine Hand auf ihr Bein. Auf seinem Arm waren keine Spuren des Angriffs mehr zu sehen.

    »Ist der Vogel noch mal aufgetaucht?«
    »Nein.«
    »Und Sandesh? Ist er zurückgekommen?«
    »Nein.« Ein Schatten flog über Taros Gesicht und Wanja schluckte. Halbherzig erwiderte sie Babas Lächeln, der sich jetzt den beiden zuwandte.
    »Meine lieben Ehrengäste. Ihr seid gerade richtig zur Besprechung gekommen. Wir legen den Ablauf der Vorstellung fest und ich bin sicher«, Baba zwinkerte Taro zu, »wir werden auch für euch etwas Feines finden, wenn ihr wollt.«
    Taro schwieg, Wanja runzelte die Stirn und Mischa zuckte leicht mit den Schultern. Thyra, die offensichtlich gerade gesprochen hatte, rieb sich ihre riesigen Hände und sah in die Runde. »JETZT SIND WIR ERST MAL DRAN. WIR MACHEN FANGEN MIT STANGEN UND KÖNNTEN DIREKT NACH REIMUNDOS HEULNUMMER AUFTRETEN.«
    Baba zog aus der Tasche seines Anzugs ein Blatt Papier und legte den Finger an die Lippen. »Nein, Thyra«, sagte er schließlich. »Das passt nicht. Oder, was meinst du, Reimundo? Zeigst du uns deine Nummer bitte noch einmal?«
    Reimundo stand auf. Er trug normale Kleidung, helle Hosen und ein T-Shirt, aber in den Armen hielt er zwei Schafe, das eine weiß, das andere schwarz.
    Mit leisen Trippelschritten ging er auf die goldene Kugel zu, die an der Seite der Manege lag, klappte sie auf und setzte sich hinein. Er gab Thrym ein Zeichen, der daraufhin aufstand und die nun geschlossene Kugel an einem feinen Drahtseil nach oben zog, bis sie über ihren Köpfen schwebte wie ein riesiger Vollmond. Von dort ließ er sie langsam wieder nach unten, während Perun das Licht herunterdrehte, sodass nur noch die schillernde Kugel zu sehen war. Ein Vollmond im Dunkeln.
    Als die Kugel wieder auf dem Boden lag, stieg Reimundo heraus, die Schafe in den Armen, so wie er bei der ersten Vorstellung die gelbe Kuh gehalten hatte. Seltsam, dachte Wanja. Reimundo war bestimmt schon vierzig, vielleicht sogar fünfzig Jahre alt, aber wie er so dastand mit seinen staunenden Augen, sah er aus wie ein Kind.
    Er machte ein paar Schritte vorwärts und hielt die Schafe in die Höhe. Als würden sie von unsichtbaren Fäden gezogen, schwebten sie plötzlich aus seinen Händen in die Luft. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Wanja, dass die Schafe an hauchdünnen Fäden befestigt waren.
    Ihnen nachsehend, sagte Reimundo sein Gedicht auf.

    Der Alp und der Traum, kaum sind sie, kaum
    zu unterscheiden,
    die beiden,
    bis sie sich binden
    und bleibend verschwinden als keins oder eins,
    aber immer als deins.
    Alles wird gut,
    auch die Angst und die Wut werden leise
    auf der Reise,
    die nicht endet,
    bis es sich wendet.
    Alles wird gut.
    Die Schafe waren verschwunden, schillernde Tropfen fielen von der Decke herab. Reimundo lächelte, aber dieses Mal waren Wanja die Tränen schon vorher übers Gesicht gelaufen, bis Thyras Stimme sie zusammenzucken ließ.
    »ICH WEISS NICHT, WAS IHR HABT, FANGEN MIT STANGEN IST NACH DER HEULNUMMER DOCH DER ABSOLUTE KRACHER!«
    Reimundos Lächeln wurde zu einem Schmunzeln, während sich Thrym, der noch immer an dem Drahtseil stand, mit einem riesigen, gepunkteten Taschentuch schnäuzte und Baba nachdrücklich den Kopf schüttelte. »Unmöglich, Thyra, nach dieser Nummer brauchen wir etwas anderes. Was uns fehlt, ist sowieso noch der richtige Rahmen für die Vorstellung. Ich liege schon seit Nächten darüber wach, aber mir will und will einfach nichts einfallen.« Nachdenklich starrte der kleine Mann in die Runde, bis sein Blick an Taro hängen blieb. »Wie wäre es, wenn eure Nummer nach

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