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Die geheime Sammlung

Die geheime Sammlung

Titel: Die geheime Sammlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Shulman
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roch daran. Es roch nach nassem, braunem Papier … und Knallfröschen … und Stinkkohl … Es roch nach Zauberei, aber nicht nach der richtigen Art von Magie.
    »Das ist nicht meins«, sagte ich.
    »Natürlich ist es deins.«
    »Nein, Sie müssen die Pakete verwechselt haben. Das da ist meins.« Ich zeigte auf das Paket unter seinem Arm.
    »Nein, das ist meins«, betonte er.
    »Lassen Sie es mich mal sehen.« Ich griff mit beiden Händen danach. Er hielt es fest, als ich es an meine Brust zog. Der oberste Knopf meines Mantels, derjenige, den Anjali angenäht hatte, drückte gegen seine Hand, als er nach dem Paket griff.
    Langsam lösten sich die Finger des Mannes, leicht zitternd und widerwillig. Er knurrte, und einen kurzen Moment hatte ich das schreckliche Gefühl, er würde mich tatsächlich irgendwie
angreifen
.
    Dann riss er sich zusammen. Er hob das Paket auf, das er mir hatte mitgeben wollen. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich habe nur versucht, dich zu schützen. Aber ich muss akzeptieren, dass du ein dickköpfiges junges Fräulein bist. Und mutig. Gib auf dich acht. Ich hoffe, du kannst auf dich aufpassen.« Und er stapfte durch den Schnee davon.
    Zu Hause schloss ich die Tür meines Zimmers ab und legte das Paket auf den Schreibtisch. Ich wurde das ungute Gefühl nach der Begegnung einfach nicht los. Ich schaute mir das Paket an. Der Schnee hatte die braune Tinte auf dem braunen Packpapier verschmiert, aber ich konnte Mr.Mauskopfs Handschrift immer noch erkennen. Es war doch seine, oder? Ich hatte doch nicht etwa aus Versehen das falsche Paket genommen? Ich roch daran. Es roch meiner Meinung nach verzaubert, nach Sommer-Magie: ein bisschen nach Pinien, ein bisschen nach Salz und nach Nelken. Aber auch das andere Paket war eindeutig magisch gewesen. Vielleicht sollte ich es öffnen und nachschauen, was darin war.
    Kaum war mir der Gedanke gekommen, da packte mich auch schon ein heftiges Verlangen, das Paket zu öffnen. Ich wusste, wie dumm das war. Warum sollte ich das tun? Ich würde mein Versprechen brechen. Aber meine Neugier war so stark, dass ich es kaum ertragen konnte. Was wäre, wenn ich nur eine Ecke öffnen würde, um hineinzuschielen? Fast gegen meinen Willen bewegten sich meine Finger auf das Paket zu.
    »Hör auf, Elizabeth!«, sagte ich laut. Ich schloss das Paket in meinem Schreibtisch ein, verbannte die Gedanken aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf unregelmäßige französische Verben.
    Am nächsten Tag im Repositorium klopfte ich an Dr.Rusts offene Tür.
    »Haben Sie einen Moment Zeit? Mr.Mauskopf hat mich gebeten, Ihnen das hier zu bringen.«
    »Hervorragend, danke sehr.« Doc Rust drehte es zu sich und schaute sich die verschwommene Anschrift und das zerknitterte Papier an. »Du hast es nicht geöffnet, oder?«
    »Nein«, sagte ich und fühlte mich dabei komischerweise so schuldig, als hätte ich es getan. »Ich habe es allerdings fallen lassen. In den Schnee. Ich hoffe, es ist nichts kaputtgegangen. Ich hatte ziemliche Probleme, es hierher zu bringen – darüber wollte ich mit Ihnen reden.«
    »Das sollten wir auf jeden Fall tun.« Er nahm einen Brieföffner, der aussah wie ein kleiner Dolch, und trennte das Papier auf. Eine unverzierte hölzerne Kiste kam zum Vorschein. »Lass uns zuerst mal nachschauen, ja?«
    Ich reckte meinen Hals. Dr.Rust hob den Deckel an und enthüllte einen Stapel von Papierpuppen. Vor meinen erstaunten Augen begann sich Lage auf Lage zu regen, sie wurden zu dreidimensionalen Gestalten und sprangen aus der Kiste. Sie vollführten die erstaunlichsten akrobatischen Kunststücke und tanzten wie Dr.Rusts Sommersprossen im Schnellvorlauf.
    Ein Paar dieser Akrobaten balancierte einen Bleistift über dem Tacker aus, benutzte ihn als Wippe und schleuderte sich gegenseitig hoch in die Luft. Ein anderes Paar hangelte sich auf die Schreibtischlampe und sprang mit lautem Aufprall in die darunter stehende Wasserkaraffe. Ein drittes Paar wickelte Tesafilm vom Spender ab und klebte das eine Ende an die Schreibtischlampe. Sie hielten die Enden straff gespannt, während sich ein halbes Dutzend ihrer Freunde in Sprüngen, Über- und Radschlägen wie Turner auf dem Schwebebalken auf dem Band tummelten.
    »Wie ich sehe, hast du die Wahrheit gesagt«, sagte Dr.Rust.
    »Das habe ich. Aber woher wissen Sie das?«
    Er grinste. »Versuch, Sie zurück in die Kiste zu bekommen.«
    »In Ordnung.« Ich widmete mich den kleinen Gesellen. »Genug jetzt. Zurück in die Kiste«,

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