Die geheime Sammlung
westlichen Tiffany-Fenster, der Herbstszene, auf und ab lief. Sonnenlicht strömte durch die gläsernen Blätter, verlieh ihrem Haar eine kastanienbraune Farbe und ihrer Haut einen rötlichen Schimmer. Sie sah aus wie eine besorgte Leopardin.
Sie eilte mir entgegen. »Elizabeth! Wo ist meine Schwester?«
»Ich weiß es nicht – ich habe sie seit gestern Abend beim Basketballspiel nicht mehr gesehen. Sie arbeitet heute nicht hier. Wieso?«
»Sie ist weg! Sie ist verschwunden! Das magische Monster muss sie geschnappt haben!«
»Was?«
»Das Monster! Das, das hinter dir her ist! Es hat Anjali, und das ist alles meine Schuhuhuuld!!« Jaya fing an zu jaulen. Die Gäste – die übliche Mischung aus zeichnenden Kunststudenten, Gutachtern, die Notizen in ihre Laptops tippten, und älteren Russen, die Schach spielten – drehten sich zu uns um.
»Psst, Jaya. Das hier ist eine Bibliothek, du willst doch nicht rausfliegen. Erzähl mir, was passiert ist. Hast du das Monster, den riesigen Vogel, gesehen?«
Sie senkte ihre Stimme, aber ihre Panik blieb. »Nein, aber wenn es sich Anjali geholt hat, ist das allein meine Schuld!«
»Wie kann das deine Schuld sein?«
»Weil ich ihr keinen Schutzzauber gemacht habe.«
»O Jaya! Sie wollte gar keinen. Erinnerst du dich?«
»Ich hätte ihn einfach machen sollen. Ich hätte mich mitten in der Nacht in ihr Zimmer schleichen und den Zauber knüpfen sollen, und dann hätte das Monster sie nicht gekriegt, und jetzt ist sie weeeeeeeeg!« Jetzt weinte sie, leiser, aber voller Kummer.
Ich legte meinen Arm um sie und setzte sie auf eine der geschnitzten Holzbänke an die Wand. »Psst … alles wird gut, Jaya. Nicht weinen. Ist schon gut, wir werden sie finden. Komm schon, Jaya, es ist nicht deine Schuld, wir werden deine Schwester finden.«
Ich wusste nicht, ob das stimmte. Ich hoffte es. Aber wie sollte ich Anjali oder sonst irgendetwas ohne meinen Richtungssinn finden?
Ich entdeckte ein fast sauberes Taschentuch in meiner Tasche und reichte es Jaya, die sich laut schneuzte. Die Schachspieler sahen kurz zu uns herüber und spielten dann weiter.
»Wo hast du sie zum letzten Mal gesehen?« Die Frage klang selbst in meinen Ohren absurd – als ob Anjali irgendein Spielzeug wäre, das Jaya verlegt hatte, eine Lieblingspuppe.
»Heute Morgen, beim Frühstück. Sie sollte mir bei meinem Wissenschaftsprojekt helfen. Sie hat es versprochen!«
»Vielleicht hat sie es einfach vergessen. Vielleicht ist sie einkaufen oder so.«
»Anjali vergisst nichts. Egal, ich würde es wissen, wenn sie einkaufen wäre. Ich weiß immer sehr genau, wo sie ist.«
Das glaube ich sofort, dachte ich mir. »Und hat sie irgendwas gesagt, bevor sie verschwunden ist?«
»Wie – irgendwas?«
»Ich weiß nicht. Wo sie hingehen wollte? Oder irgendetwas Merkwürdiges oder Ungewöhnliches?«
»Nein, sie hat sich beschwert, weil ich die Cornflakes aufgebraucht habe. Das ist weder merkwürdig noch ungewöhnlich. Die letzte ungewöhnliche Sache war das mit der verschwundenen Magie und Benign Designs vor dem Basketballspiel, als du da warst. Meinst du, sie ist da hingegangen? Zu Benign Designs?«
»Vielleicht.«
»Wo ist das? Ich hole sie zurück!« Jaya sprang von der Bank auf, als wollte sie sofort losrennen.
»Jaya, warte! Wir wissen nicht mal mit Sicherheit, ob Anjali da hingegangen ist. Oder ob sie überhaupt verschwunden ist.«
Die Tür öffnete sich, und Marc kam rasch auf unsere Bank zu. »Bist du Jaya? Anjalis kleine Schwester?«
Jaya runzelte bei dem Wort
klein
die Stirn. »Wer bist
du?
«
»Ich bin Marc. Wo ist Anjali? Geht es ihr gut? Sie hat nicht auf meine Nachrichten geantwortet.«
»Du bist Marc Merritt? Anjalis Freund? Woher weißt du, dass ich hier bin?« Jaya sah ihn interessiert an.
»Sarah sagte, du seist hier und würdest mit Elizabeth reden. Geht es Anjali gut? Wo ist sie?«
»Du bist der Basketball-Star?«
»Ja doch, aber wo ist Anjali?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, das Monster oder vielleicht auch Benign Designs haben sie entführt.«
»Nein!« Er schlug mit der Faust auf sein Bein. Es sah aus, als ob es weh tat. »Ich hab ihr gesagt, sie soll da nicht ohne mich hingehen!«
»Wohin? Benign Designs?«, fragte ich.
»Sie hat mir gestern Abend erzählt, dass sie glaubt, die haben die Gegenstände genommen«, sagte er. »Sie glaubt, dass sie sie gegen Kopien ausgetauscht haben, die nur ein paar Tage lang funktionieren. Sie wollte losgehen und das genauer untersuchen.
Weitere Kostenlose Bücher