Die geheime Sammlung
Klumpen aus grünen und gelben Fasern voller bleichem Zeug. In einem der Klumpen klebte etwas, das ekligerweise wie ein Insektenflügel aussah.
Ich kehrte den Staubmäusen den Rücken zu und schaute wieder unter dem Regal hervor. Über mir sah ich die Sohle einer Sandale, an deren Hacken Flügel flatterten. Ihr Gegenstück wurde von den gespannten Riemen festgehalten und schlug panisch mit den Flügeln.
»Ruhig, ruhig«, sagte Marc leise und legte von der sicheren Sandale aus seine Hand auf die panische Sandale. »Ist ja gut, mein Junge – alles wird gut. Ruhig.«
Die Sandale kämpfte weiterhin gegen ihre Fesseln.
»Elizabeth! Kannst du dir die Riemen schnappen?«
Die verängstigte Sandale tauchte nach unten weg. Marc warf mir einen der Lederriemen zu, und ich fing ihn auf. Das gab der Sandale endgültig den Rest. Sie flatterte davon und zog mich auf dem Fußboden hinter sich her. Ich hielt mich fest und zog sie mit all meiner Kraft nach unten, als Marc mit seiner Sandale neben mir landete.
»Wir sollten besser tauschen«, sagte er. »Deine dreht durch. Es ist die linke – das muss ein Paar für Rechtshänder sein.«
»Wieso für Rechtshänder?«
»Dann eben Rechtsfüßer.« Er verließ die rechte Sandale, in der er wie ein Kajakfahrer gehockt hatte, die Beine vor sich ausgestreckt und den Rücken gegen die Hacke der Sandale gedrückt, wo die Flügel waren. Er hielt die Riemen wie Zügel in einer Hand.
»Bleib!«, sagte er streng zur rechten Sandale, dann gab er mir seine Zügel und übernahm meine. Er wandte sich dem Schuh zu, mit dem ich gekämpft hatte. »Und nun zu dir, du linkes Teil! Willst du dich wohl benehmen?« Er zog fest an beiden Riemen, und die linke Sandale streckte sich mit zitternden Flügeln vor ihm aus. »Schon besser. Braver Junge.« Er hockte sich in seine neue Sandale, wobei er die Riemen weiterhin fest in der Hand hielt. Die Sandale flatterte einmal kurz auf, blieb aber gehorsam. Er klopfte ihr auf die Seite.
»Und du? Rein mit dir, und los geht’s«, befahl Marc mir. Ich sprang gehorsam in meine Sandale. Der Mann war der geborene Anführer.
Sein Schuh leider nicht. Er wollte meinem Schuh folgen, der ja der stärkere Teil dieses Paares war. Hätte ich meinen Richtungssinn noch gehabt, wäre das kein Problem gewesen. Als ich abhob, hörte ich Marc hinter mir schreien: »Elizabeth, halt! Das ist die falsche Richtung.«
Ich zog an den Zügeln, um meine Sandale zu wenden. Sie versuchte zu gehorchen, aber ich wusste nicht, wie ich sie lenken sollte. Sollte ich am linken Riemen zerren, um sie nach links zu lenken wie ein Wagenlenker? Oder sollte ich links ziehen, damit sie nach rechts, und rechts, damit sie nach links fuhr, wie ein Steuermann? Wo war überhaupt links?
»In die andere Richtung. Die andere Richtung! Nein, die
andere
Richtung.«
Ich wendete und flog voll in Marc hinein.
»Als ob man zwei linke Füße hätte«, murmelte er.
Ich flog ungeschickt von einer Seite des Gangs auf die andere. Marc folgte mir. Als wir um eine Ecke eine lange Allee von Schränken erreichten, die aussah wie alle anderen Schrankalleen, rief Marc plötzlich »Halt!« und beugte sich zu mir herüber, um mir die Zügel aus der Hand zu nehmen. »Wir sind da«, sagte er und ergriff mit der Hand die Klinke.
Die Sandalen regten sich, hüpften und zogen so die Tür auf. Alles, was ich tun konnte, war, nicht in meinen sicheren Tod zu stürzen. Marc beruhigte das Paar, und wir flogen zum fünften Regal.
»Ich bleibe bei den Sandalen und halte sie im Zaum. Kannst du den Schlüssel allein finden?«, fragte Marc.
»Ich versuch’s.« Von meiner Sandale einen kleinen Schritt zum Regal in einer Höhe von ein paar Phantastillionen Zentimeter zu machen, war im Vergleich zur Reise mit dem Pneu ein Kinderspiel. Jedenfalls sagte ich mir das.
In dem Wald aus Schlössern und Schlüsseln verirrte ich mich schnell. Der Geruch nach Zauberei, der von ihnen ausging, schwappte wie in Wellen über mich hinweg. Einige waren alt und verrostet, einige waren wunderschön geformt und mit Juwelen besetzt. Einige waren so klein wie mein Finger, andere türmten sich über mir auf. Viele glänzten golden. Aber welches war der Goldene Schlüssel?
Ich überprüfte die Etiketten und folgte den Zahlen in etwas, was ich für die richtige Richtung hielt, musste aber feststellen, dass ich die Nummer des Schlüssels verpasst hatte und mich in einen komplett anderen Bereich verirrt hatte.
»Schon gefunden?«, fragte Marc.
»Ich suche
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