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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Gerichtstermine, fuhr die Kinder zu Sportveranstaltungen, traf sich mit Mandanten, befragte Zeugen oder knobelte eine Verteidigungsstrategie aus. John Xavier O’Rourke gönnte sich nicht einmal die Muße nachzuschauen, welche Farbe seine Augen hatten.
    Der Richter, der bei Johns Geburt in selbige geblickt hatte, wusste, dass sie hellbraun waren, von der gleichen Farbe wie Kräuterbier. Und jetzt würde er dafür sorgen, dass sein Sohn die Augen aufmachte, und wenn er sie ihm mit Gewalt öffnen musste.
     
    Sie war hier.
    John hatte ihre Stimme gehört. Zuerst freudig erregt, als sie nach ihm fragte, dann wie gelähmt.
    Sein Vater war nach oben gekommen; John hatte reglos im Bett gelegen und sich schlafend gestellt. Ironischerweise hatte er vorhin von ihr geträumt, als er eingenickt war. Von den Augen, die bis auf den Grund seiner Seele blickten.
    Was hatte sie ihm im Traum zu sagen versucht? Sie hatten keiner Worte bedurft, weil ein stillschweigender Einklang zwischen ihnen herrschte, wie John ihn noch nie erlebt hatte.
    Kate Harris ist hier
, hatte sein Vater gesagt.
    John hatte es gehört, war aber unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.
    Was konnte er auch für sie tun? Träume waren eine Sache, das Leben stand auf einem anderen Blatt.

[home]
    20
    Z um zweiten Mal in der letzten halben Stunde stieg der Richter die knarrende Treppe hinauf und klopfte zunächst leise, dann lauter an Johns Schlafzimmertür. Da er keine Antwort erhielt, drehte er schließlich am Knauf.
    Auf dem Rücken liegend, ein Kissen über den Augen, stellte John sich schlafend. Der Richter hatte oft gesehen, wie der Bursche Schlaf vortäuschte. Als Junge hatte es ständig Kämpfe um die Schlafenszeit gegeben. Immer wollte er noch schnell ein Buch zu Ende lesen – oder wenigstens ein Kapitel. Oder er wollte bis Mitternacht aufbleiben, um einen Meteorschauer zu beobachten. Oder bis drei Uhr früh, wenn der Sturm ihre Gegend laut Vorhersage erreichen würde. Oder bis vier, wenn der Nikolaus den Kamin heruntergerutscht kam.
    »Darauf fällt niemand herein«, sagte der Richter nun.
    John antwortete nicht. Er hatte inzwischen Erfahrung im Verstellen gesammelt, und er glaubte zu wissen, wie man Schlaf vortäuscht. Dem Richter war klar, dass sich diese »So tun als ob«-Manöver bei John nicht auf das Schlafen beschränkten. Damit hatte er sich schon seit geraumer Zeit den Weg durchs Leben gebahnt. Er hatte so getan, als sei er glücklich, als sei alles »bestens«, »in Ordnung« oder »fantastisch«. Das letzte Jahr mit Theresa war am schwersten für ihn gewesen, doch das hatte der Richter sich selbst zuzuschreiben: Schließlich war er nicht gerade mit gutem Beispiel vorangegangen, was die Fähigkeit betraf, über Gefühle zu sprechen oder sein Herz zu öffnen.
    »He – Counselor, aufwachen!«, sagte der Richter zu seinem Sohn und wackelte am nackten Zeh seines rechten Fußes.
    John drehte sich auf die Seite, zog das Kissen noch enger über sein Gesicht. Beim Umdrehen rutschte es weg, enthüllte Tränenspuren in den Sonnenfältchen um Johns Augen, die sich über die Wangenknochen hinabzogen.
    »Lass mich in Ruhe, Dad«, flüsterte John.
    »Sie ist verdammt hübsch.«
    Als John schwieg, schnaubte der Richter verärgert. »Ich rede von Kate Harris. Vielleicht solltest du zu ihr fahren und dich erkundigen, was sie von dir will.«
    »Ich weiß, was sie will«, erklärte John dumpf. »Etwas über ihre vermisste Schwester erfahren. Und dabei kann ich ihr nicht helfen.«
    »Ist ja auch nicht deine Aufgabe. Dafür ist die Polizei zuständig. Vielleicht braucht sie nur einen Freund, mit dem sie reden kann. Mir scheint, als wäre sie deshalb hier – sie machte auf mich einen sehr netten, liebenswerten Eindruck.«
    »Sie will mich aushorchen – das sage
ich
. Aber meine Arbeit bringt mich in Konflikt mit ihr.«
    »Deine Arbeit bringt dich mit der halben Stadt in Konflikt, wenn du sie nach bestem Wissen und Gewissen verrichtest«, schmunzelte der Richter. »Aber das bedeutet nicht, dass du kein Privatleben und keine Freunde verdienst …«
    »Hör auf, Dad.« John drehte sich um. Er vergrub sein Gesicht wieder im Kissen, als sei er völlig erschöpft. Der Richter betrachtete seinen Sohn lange, dann seufzte er. Er wusste, was in ihm vorging.
    »Dafür gibt es einen Namen. Kampfmüdigkeit. Oder das Gefühl, ausgebrannt zu sein – du hast die Wahl.«
    John schwieg, schien nicht einmal zuzuhören, doch der Richter fuhr unbeirrt fort.
    »Ich kenne

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