Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
begegnet. Er hätte schwören mögen, dass Greg den Namen wirklich noch nie gehört hatte. John griff in seine Jackentasche, holte Willas Foto heraus und legte es auf den Tisch. Greg nahm es in die Hand, betrachtete es eingehend.
    »Sie haben mir das Bild schon einmal gezeigt. Ich sagte Ihnen bereits, dass ich sie nicht kenne.«
    »Sind Sie sicher?«, fragte John mit hämmerndem Puls.
    Greg nickte, ein Lächeln huschte über seine Lippen, und sein Blick war traurig. »Ganz sicher. Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. Sie muss sehr wichtig für Sie sein, sonst würden Sie mich nicht immer wieder nach ihr fragen. Stimmt’s?«
    John antwortete nicht. Er nahm Greg Merrill Willas Foto aus der Hand, und sie maßen sich mit Blicken; Greg wandte als Erster die Augen ab.
    »Berührt Sie das überhaupt nicht? Dass noch ein junges Mädchen vermisst wird? Und ein weiteres tot aufgefunden wurde? Sie nehmen Medikamente … wirken Sie? Interessiert Sie der jüngste Mord überhaupt?« John hatte das Gefühl, als drohe ihm die Kontrolle über sich selbst zu entgleiten; sein Blut geriet in Wallung angesichts Gregs Kälte.
    »John, alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Johns Hände fühlten sich klamm an. Er hatte die Beherrschung verloren – hatte seinen Mandanten angeschrien, im Sprechzimmer von Winterham. Er hatte es satt, die Verteidigung von Menschen ohne Gefühle oder Gewissen zu übernehmen.
    Gregs Lächeln wurde eine Spur breiter. »Natürlich interessiert er mich, John. Wie können Sie so etwas fragen?«
    »Ich weiß nicht, Greg.« Johns Schultern schmerzten, müde erhob er sich vom Tisch.
    »Ich brauche Briefmarken, John«, sagte Greg. »Ich habe einige Gesuche geschrieben, und sie werden nicht …«
    John verzichtete darauf, sich den Rest anzuhören. Plötzlich hatte er Kopfweh und ein Gefühl, als drehe sich ihm der Magen um. Seine Kinder lebten in dieser Welt, Kate Harris’ Schwester wurde immer noch vermisst, und sein Mandant brauchte Briefmarken! Er musste raus, den Himmel sehen, frische Luft atmen.
    John O’Rourke hatte eine Panikattacke. Ohne sich von seinem Mandanten Greg Merrill oder den Wärtern zu verabschieden, verließ er Winterham Prison, ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen.
     
    Der Richter wusste, dass irgendetwas nicht stimmte.
    Es war Dienstagnachmittag, und John war früher nach Hause gekommen, hatte seinen Aktenkoffer in der Diele abgestellt und war nach oben gegangen, um sich hinzulegen. Etwa eine Stunde war vergangen – lange genug, um ein Nickerchen zu machen –, als es an der Haustür läutete. Als der Richter öffnete, sah er sich einer bezaubernden jungen Frau gegenüber.
    »Ja bitte?«, fragte er.
    »Oh … ich möchte zu John O’Rourke. Ich weiß, ich hätte mich vorher anmelden sollen, aber ich bin gerade erst angekommen, und auf dem Weg in die Stadt kam ich am Park vorbei und sah das Straßenschild …«
    »Also haben Sie gleich einen Abstecher gemacht. Nett von Ihnen.« Der Richter sah sie bewundernd an. Sie hatte eine Alabasterhaut mit ein paar angedeuteten Sommersprossen rund um die Nase, hohe Wangenknochen und einfühlsame Augen in der Farbe von Steinen. Es waren schöne Augen, und je länger er sie betrachtete, desto neugieriger wurde er auf die Geschichte, die sich hinter ihnen verbarg.
    »Ist John zu Hause?«, fragte sie.
    »An einem ganz normalen Arbeitstag?« Der Richter lächelte. Er pokerte gerne, war darin geübt, nichts preiszugeben.
    »Ich dachte. Ich habe nämlich in seiner Kanzlei angerufen. Dort hieß es, er sei außer Haus.«
    »Hmmm.« Die Augen des Richters verengten sich. In Augenblicken wie diesem wünschte er sich, Maeve wäre noch in der Lage, den Türsteher zu spielen. Sie hatte es verstanden, die Leute abzuwimmeln, bevor sie wussten, wie ihnen geschah. Aber sie war unten im Parterre, polierte das Silber für das Thanksgiving-Essen und unterhielt sich dabei mit ihrer Schwester und einigen Heiligen.
    »Bitte?« Die Frau lächelte.
    Und dann fiel es dem Richter wie Schuppen von den Augen: Sie war gekommen, um sich als Kindermädchen zu bewerben! Er zögerte, unentschieden, wie er damit umgehen sollte. Im Verlauf der letzten Wochen hatte er sich daran gewöhnt, die Kinder um sich zu haben. Alle drei – Maggie, Teddy und das größte Kind von allen, seinen Sohn John.
    »Die Zeit vergeht wie im Flug, finden Sie nicht?«, sagte er.
    »Pardon?«
    »Alles hat einmal ein Ende. Sie sind wegen der Stelle hier, richtig?«
    »Welche Stelle?«
    »Die Stellung als

Weitere Kostenlose Bücher