Die geheime Waffe
die Soldaten unwillkürlich zurückwichen. Jeder hatte bereits von dieser speziellen Pistole aus Hans Borcharts Arsenal gehört, und sie wussten, dass sie damit nicht einmal ein Scheunentor treffen würden.
Torsten war von Henriettes Schussleistung überrascht worden. Nun ärgerte er sich über die Kameraden, die der Herausforderung des Leutnants aus dem Weg gingen und damit der jungen Frau das Gefühl gaben, sie wäre besser als sie.
»Geben Sie her!«, sagte er und nahm ihr die Pistole aus der Hand. Er lud das Magazin neu, suchte sich eine noch unbeschädigte Zielscheibe und stellte sich in Position. Bevor er schoss, blickte er noch kurz auf die Scheibe, auf die Henriette geschossen hatte, und schätzte die Abweichung der Waffe anhand ihres ersten Schusses ab. Sein Arm wanderte daraufhin leicht schräg nach rechts unten. Ein letzter prüfender Blick, dann feuerte er die Schüsse im Sekundentakt ab.
Um ihn herum wurde es still. Henriette starrte auf die Stelle, die das Herz markierte, und konnte nicht glauben, was sie sah. Jede von Renks Kugeln hatte exakt in diese etwa handgroße Stelle getroffen.
»Nun? Zufrieden?«
Renks Stimme riss Henriette herum. »Nicht schlecht«, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. »Wenn Sie jetzt dieselbe
Schau abgezogen hätten wie vorhin, würde ich mir wirklich wie ein Wurm vorkommen.«
»Ich berichtigte mich. Renk ist kein Teufel, sondern der Satan schlechthin«, rief der Mann, der vorhin schon gespottet hatte.
Renk drehte sich zu ihm um und grinste. »Was sagt euch das? Dass ihr trainieren müsst! Ein guter Soldat trifft auch mit einer schlechten Waffe, aber ein schlechter Soldat schießt auch mit dem besten Gewehr daneben.«
»Gib das Ding her!« Ein Soldat, der als guter Schütze bekannt war, nahm die Pistole an sich und lud sie voll. Danach ging er zu Henriettes Zielscheibe und sah sich ihren ersten Fehlschuss genau an. Als er zurückkam und konzentriert seine Schüsse abgab, zeigte sich, dass auch er etwas konnte.
Sein Trefferergebnis war schlechter als Henriettes, aber dennoch war der Mann zufrieden. »Mit so einem Ding muss man erst einmal schießen können«, meinte er zu seinen Kameraden und legte Henriette gönnerhaft die Hand auf die Schulter. »Ich wollte Kavalier sein und Sie gewinnen lassen. Wäre das nicht heute Abend einen Schluck im Kasino wert?«
»Ich werde es mir überlegen.« Henriette mochte solche Zusammenkünfte, bei denen viel Alkohol floss, nicht besonders. Unsicher sah sie Renk an.
Der überlegte kurz und nickte. »Wenn nichts Wichtiges dazwischenkommt, schaue ich heute Abend ebenfalls vorbei!«
»Du kannst ruhig wegbleiben. Für die Unterhaltung des Leutnants sorge ich schon.«
»Nach dem dritten Bier fängt er an zu nuscheln, und nach dem sechsten liegt er unter dem Tisch«, sagte Torsten spöttisch zu Henriette und sah dann auf seine Uhr. »Mittagszeit! Da ist Hans beim Essen. Und wir könnten uns ebenfalls in Richtung Kantine verabschieden. Ich habe nämlich Hunger.«
»Ich auch«, erklärte Henriette und dachte bei sich, dass Renk und sie das erste Mal einer Meinung waren.
ACHT
A n der Essensausgabe trafen sie auf Petra, die sich bereits einen doppelten Schlag Spaghetti Bolognese auf den Teller hatte laden lassen und nun beim Nachtisch zwischen einem Stück Schokoladenkuchen und einer Schale mit drei Kugeln Eis schwankte. Schließlich stellte sie beides auf ihr Tablett. Als sie Torstens mahnendes Räuspern hörte, drehte sie sich seufzend zu ihm um. »Mein Gehirn braucht heute die Kalorien. Ich habe hunderttausend Fragen und keine einzige Antwort darauf. Es ist, als wäre ich ein vollkommener Idiot geworden.«
»Das glaube ich nicht. Du kriegst die Sache schon hin«, tröstete Torsten sie und stellte ebenfalls ein Eis auf sein Tablett.
Henriette wählte den Schokoladenkuchen und sagte sich, dass sie bald wieder joggen musste, wenn ihr die Uniform noch länger passen sollte. Unterdessen winkte Hans Borchart, der mit seinem Vorgesetzten Mentz an einem Tisch saß, Torsten zu.
»Welche Ehre, dorthin eingeladen zu werden«, spottete Petra.
»Wieso?«, fragte Henriette.
Anstelle von Petra übernahm Torsten die Antwort. »Hauptfeldwebel Mentz und Hans sehen diesen Tisch als ihren Stammplatz an. Dort setzt sich höchstens ein frisch eingezogener Rekrut unaufgefordert hin. Die Soldaten, die sich bereits auskennen, quetschen sich lieber zusammen, als die Männer von der Materialausgabe zu verärgern.«
»Das kann ich mir denken!«
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