Die geheime Welt der Frauen
saubere, pinkfarbene Wohnzimmervorhänge. Eine schmale Gasse trennte das Doppelhaus vom Nachbargrundstück. Sima warf einen Blick in den schmalen Durchgang.
Sie suchte nach etwas Besonderem. Wenn nicht an der Fassade, dann durch einen raschen Blick in einen rückwärtigen Garten: Glockenblumen oder Bohnenpflanzen. Stattdessen sah sie nur zwei olivgrüne Abfalltonnen neben einem Maschendrahtzaun. Über ihr verband ein dünner Draht das Haus mit dem Nachbarhaus, ein Teil des eruv, des symbolischen Zauns, der Boro Park umschloss: Dünne Plastikschnüre zogen sich von Telefonmasten zu Verkehrsschildern und begrenzten jenen Bereich, innnerhalb dessen das Trageverbot am Sabbat aufgehoben war, was Männern und Frauen erlaubte, in dieser Zeit Kinderwagen zu schieben und Schlüssel bei sich zu tragen. Freiwillige patroullierten jede Woche entlang des Eruv- Zauns in Boro Park (der sich bis Flatbush erstreckte und Mauern und Bahngleise integrierte) auf der Suche nach der kleinsten Unterbrechung,
der die ganze Begrenzung unkoscher gemacht hätte.
Ein Wagen drosselte das Tempo, Sima wurde nervös, zwang sich aber weiterzugehen. Sie passierte ein neues, strahlend rotes Backsteingebäude mit geschwungener Marmortreppe, in Form geschnittenen Hecken und bodentiefen Fenstern, das neben einem verfallenen einstöckigen, mit Stuck verzierten Haus stand. In Boro Park waren solche Gegensätze normal: Alle gingen zu Fuß zur Synagoge, alle wohnten dicht gedrängt zusammen, Reiche wie Arme gleichermaßen.
Nun, nachdem sie vorbeigegangen war und alles nichts gebracht hatte, fühlte Sima sich beschämt. Sie beschloss, die Sache mit dem Haushaltswarenladen zu lassen - sie hatte schon so lange damit gewartet, diese Glühbirnen zu besorgen, dann konnte sie auch noch ein bisschen länger warten. Auf dem Weg zu Timnas Haus hatte sie sich gefragt, was der jungen Israeli wohl aufgefallen sein mochte: Hatte sie über die Kinderschar gelächelt, die auf den Hausstufen darauf wartete, dass ihre Mutter sie zu dem Geschwisterkinderwagen hinuntertrug? Hatte sie der alten Frau an der Ecke ein paar Münzen gegeben, die für die »Aliyah nach Israel« sammelte, wie mit schwarzem Filzstift auf einem Pappschild stand?
Aber als sie wieder in ihre Straße einbog, wurde Sima klar, dass Timna auf dem Heimweg alle möglichen Routen nehmen konnte. Sinnlos, sich zu fragen, was ihr auffallen, was sie ansehen würde, und zudem war ohnehin alles erbärmlich: eine Gruppe blasser Kinder, eine Bettlerin. Alles hatte so wenig zu bieten, und ihr eigenes Leben am wenigsten.
»Ich bin zurück«, rief sie, als sie sich im Flur hinunterbeugte, um ihre Schuhe aufzuschnüren.
»Aha?«, sagte Lev, der durch die Küche kam. »Ich hab gar nicht bemerkt, dass du fort warst.«
Oktober
9
S ima beobachtete, wie Timna in der Schublade ihres Nähtischs kramte und nach passenden Häkchen für den BH suchte, den Ida Horn vorbeigebracht hatte. Sie nahm vier Einsatzbänder in verschiedenen Weißschattierungen heraus - eines changierte ins Gelbliche, ein anderes ins Rosafarbene - und legte sie nebeneinander, um die Farbe zu prüfen. »Halten Sie es ins Licht«, riet ihr Sima und legte den Katalog beiseite, den sie durchgeblättert hatte, »nur so sehen Sie es.«
Timna folgte Simas Rat. »Was meinen Sie?«, fragte sie und hielt eines der Bänder nach dem anderen an den BH mit seinen Doppel-D-Körbchen in schlichtem Nylon-Stretch. »Das dunkelste, oder?«
Sima nickte. »Scheint so, ja.«
Timna legte den BH auf den Tisch und steckte die Bänder wieder in die Schublade. »Ich wollte Sie fragen, ob ich nächsten Sonntag freihaben könnte«, fragte sie Sima, während sie die Originalhaken abschnitt, von denen zwei völlig verbogen waren. »Wir haben vor, nach Philadelphia zu fahren.«
»Mit wem?«, fragte Sima. »Mit Ihren Kusinen?«
»Ah, nein, nicht mit ihnen.« Timna legte den BH in die Nähmaschine und nähte die neuen Einsätze an. »Ich würde mit den Israelis fahren, von denen ich Ihnen erzählt habe, mit Shai und unserer Freundin Nurit, die ich in dem Café getroffen habe.« Sie beugte den Kopf über die Maschine und führte den Stoff unter der Nadel durch. »Vorausgesetzt, Sie sind damit einverstanden.«
Sima wartete einen Moment, bevor sie einwilligte. »Wie kommen Sie denn dorthin?«
»Wir haben ein Auto. Shais Bruder lebt in New Jersey, er leiht uns seinen Wagen.«
»Also ist schon alles abgemacht?«
Timna nickte und zog den BH aus der Maschine. Sima konnte sehen, dass
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