Die geheime Welt der Frauen
der Lettern, mit denen »Park Avenue« geschrieben war. Es würde nicht mehr allein ihr Problem sein, es wäre das Problem der Park Avenue. Und wenn all die imposanten Marmorpaläste sie unterstützten, konnte doch sicher etwas so Unbedeutendes wie ihr Körper dazu gebracht werden, ein Baby zu produzieren.
Sima blinzelte, als der Zug aus dem Dunkel des Tunnels auftauchte und über die Manhattan Bridge fuhr. Sie atmete tief ein. Die Zwischenräume zwischen den Streben zeichneten Muster auf den Boden: Schatten und Licht, Schatten und Licht. Sie war noch nie so weit von zu Hause entfernt gewesen, fühlte sich nicht nur plötzlich aus Brooklyn hinausgeschleudert, sondern hoch in den Himmel hinauf, während der East River blau unter ihr lag. Als ihr die Geschichten ihres Vaters über das Schwimmen im Fluss einfielen, sah sie erwartungsvoll zu den Zugtüren: als könnte plötzlich ein Sprungbrett in Sicht kommen oder ihr Vater, rosig und mit schlanken jugendlichen Muskeln, wie er durch die graue Luft flog und sein Körper sich anspannte, bevor er ins Wasser eintauchte.
Nichts: nur die Stahlstreben, eine nach der anderen. Eins, zwei, drei, zählte sie, eins, zwei, drei.
Erst als der Zug wieder unterhalb des Fußgängerübergangs hindurchfuhr, bemerkte Sima, dass jemand sie beobachtete. Sie spürte eine konzentrierte Aufmerksamkeit auf der anderen Gangseite, wandte den Blick vom Fenster ab und sah hinüber.
Der Mann lächelte.
Er trug einen Hut, der auf einer Seite tief nach unten gezogen war. Obwohl sie nicht sicher war, glaubte sie, dass er ihr zuzwinkerte. Ihre Wangen wurden heiß, als sie seinen Blick bemerkte, und sie sah auf ihre Hände hinab.
Nun? , schien der Blick des Mannes zu fragen, als sie erneut schnell hinüberzusehen wagte.
Nun, nichts, antwortete Sima stumm und konzentrierte sich auf den krummen Rand ihres Daumennagels.
Die Empfangsdamen trugen weiße Uniformen, ihr Haar war unter Hauben verdeckt. Als sie ihr Formulare zum Ausfüllen reichten, konnte Sima den zarten Duft von Babypuder an ihren Händen riechen. Sie beantwortete die Fragen schnell: Name, Adresse, Beruf des Ehemanns. Sie merkte nicht, wie nervös sie war, erst als ihr Name aufgerufen wurde, packte sie plötzlich ein Hungergefühl, und sie musste den Drang niederkämpfen, sich zu übergeben.
Der Doktor sah aus wie die Ärzte in den Fernsehserien, sein hellbraunes Haar war grau durchzogen und sein Oberlippenbart perfekt in Form gebracht. Er beugte sich über seinen Schreibtisch und begrüßte sie mit warmem Händedruck. »Was kann ich für Sie tun, Mrs. Goldner?«, fragte er und warf einen Blick in ihre Akte.
»Ich versuche seit fast zwei Jahren, schwanger zu werden, und nichts passiert«, sagte Sima mit einem Gefühl des Versagens - wie unnatürlich, die Hilfe eines Arztes zu brauchen.
»Durchaus nicht ungewöhnlich, ganz und gar nicht«, versicherte ihr der Arzt und lehnte sich locker in seinem Stuhl zurück. Er stellte ihr eine Reihe von Fragen, die sie klar und vertrauensvoll beantwortete. Sie war seit drei Jahren verheiratet, hatte nie die Pille oder ein Intrauterinpessar benutzt, und ihre Periode war immer regelmäßig. Sie zwang sich, selbst die intimsten
Fragen zu beantworten, und errötete, als sie ihm gestand, dass sie im Durchschnitt zwei oder drei Mal die Woche Verkehr hätten. Während der letzten vier Monate habe sie ihren Mann allerdings gebeten zu warten, weil sie jeden Morgen ihre Temperatur messe in der Hoffnung - sie vermied seinen Blick -, »den richtigen Zeitpunkt zu erwischen«.
Er nickte, während sie sprach, und gab ihr das Gefühl, als seien derlei Schwierigkeiten, für die sie sich schämte, die natürlichste Sache der Welt. Sie scheute sich, ihm die Temperaturtabelle zu zeigen, kramte dann in der Tasche nach dem Block mit den Diagrammen und entschuldigte sich für die zittrigen Linien, die sie im morgendlichen Zwielicht der Wintertage gezeichnet hatte. Aber er machte ihr Komplimente und zeigte sich erfreut, dass sie ein regelmäßiges Muster der Ovulation zeigten.
Sima lächelte, stolz, dass sie ohne besondere Aufforderung ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Sie stellte sich vor, wie sie ihm ihre Schwangerschaft verkündete, wie er grinsen, ihre Hand schütteln und ihr sagen würde, dass er es unter diesen Umständen nicht bedauere, eine Patientin zu verlieren.
Der Arzt beugte sich vor und faltete die Hände auf der Schreibtischplatte. »Ich sollte Sie warnen, Sima, dass die Tests, die wir ausführen
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