Die geheime Welt der Frauen
Degas-Tänzerin, dachte Sima, obwohl ihr eine gewisse Steifheit nicht entging, als Timna ihre Fesseln umfasste, die sie früher nicht bemerkt hatte.
Timna richtete sich auf. »Und jetzt Kaffee«, sagte sie lächelnd. »Meiner Meinung nach schlägt der Yoga um Längen.«
Sima sah zu, wie Timna in die Küche verschwand, sie hörte das freudige Hallo und das Rascheln, als Lev die Zeitung zusammenfaltete. Sie wischte den Ladentisch mit einem trockenen Tuch ab und zählte das Kleingeld in der Kassenschublade.
In zwanzig Minuten würde für die nächsten fünf Stunden hektische Betriebsamkeit herrschen: Frauen, die ihre Aufmerksamkeit forderten, ihr von der Umkleidekabine aus zuriefen. Gerade als Timna mit ihrer Tasse die Treppe herunterkam, bimmelte die Türglocke.
»Sind Sie bereit?«, fragte Sima.
Timna gähnte und nickte. »Fangen wir an«, sagte sie, und Sima tat so, als ob sie die Erschöpfung in ihrer Stimme nicht hören würde.
»Wie geht’s Debra?«, fragte Sima, während sie Roses Einkäufe zusammenrechnete. Sie sprach nur ein klein wenig lauter als üblich, damit Timna, die eine neue Kundin bediente, es hörte.
»Ach«, antwortete Rose, »die üblichen Verrücktheiten. Zuerst ruft sie an, um zu sagen, dass sie nach Brooklyn zurückzieht, und fragt, ob wir ihr helfen könnten, eine Wohnung zu finden. Gesagt, getan. Herbie fährt die ganze Woche herum, macht Anrufe, sieht sich Anzeigen an. Schließlich haben wir die Wohnung gefunden, ein Einzimmerapartment, perfekt gepflegt, in einer jungen Gegend, ganz in der Nähe der 7. Avenue. Er ruft sie an, und stell dir vor: Sie hat sich’s anders überlegt. Jetzt will sie vielleicht nach L.A. ziehen, weil sie dort Freunde hat.«
Sima knöpfte ein Hemdchen am Halsausschnitt auf, um nach dem Preis zu sehen. »Was für Freunde, von hier?«
»Wer weiß? Ich glaube, sie will uns bloß in den Wahnsinn treiben.« Rose seufzte und legte ihre Tasche auf den Ladentisch. »Was schulde ich dir?«
Sima tippte die Zahlen in ihren Rechner. »Einhundertfünfunddreißig«, sagte sie, »mit dem Rabatt macht es einhunderteinundzwanzig fünfzig.«
Rose öffnete ihre schwarze Lederbrieftasche und zählte die
Scheine auf den Tisch. »Das letzte Mal, als ich sie sah«, fuhr Sima fort und faltete ein Hemdchen, zwei BHs und drei Höschen zusammen, die sie in eine Plastiktüte steckte, »wann war das? Vor fünf Jahren? Damals hatte sie gerade mit dem College angefangen und diesen Push-up-BH gekauft, weißt du noch?« Sima bemerkte, dass sich Timna ihnen leicht zuwandte, während ihre Kundin die Nachthemden durchsah und die Farben verglich.
Rose lächelte matt. »Wenn man bedenkt, dass wir einmal über Push-up-BHs gestritten haben. Was würde ich bloß darum geben, wieder über solche Dinge zu streiten.« Sie reichte Sima die abgenutzten Geldscheine und ließ ihre Brieftasche in die Tasche fallen.
»Wie lange ist das her?«
»Tatsächlich schon seit dem College. Da hat sie dieses tolle Stipendium bekommen, und dann …« Rose schwieg einen Moment, während Sima das Geld in die Kassenschublade legte, und wartete, bis der Klingelton verklang. »Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat sie sich nicht mehr geduscht. Ich hab’s dir nie gesagt, aber als Herbie und ich das erste Mal zu ihr rauffuhren, hatte sie Dreadlocks. Richtige Dreadlocks, weil sie sich nicht mehr geduscht hat.«
Sima sah Timna an. »Und wie seid ihr darauf gekommen, dort raufzufahren?« Sie sprach noch ein bisschen lauter, damit Timna alles mitbekam: Manchmal war der Blickwinkel von jemand Älterem nötig, um zu sehen, was falsch lief.
»Dazu musste man kein Gehirnchirurg sein. Sie hat aufgehört anzurufen, und wenn wir anriefen, klang sie abwesend. Und dann …«, sie hielt einen Moment inne, »stimmt, ihre Zimmergenossin hat angerufen, weil sie sich Sorgen machte.«
»Mein Gott.« Sima erinnerte sich an Debra als Kind, wie sie mit untergeschlagenen Beinen unter dem Ständer mit Nachthemden
saß, während ihre Mutter einkaufte. »Du siehst wie eine Zigeunerin aus«, hatte Sima immer gescherzt und gelächelt beim Anblick der bunten Seiden- und Satinstoffe, die um Debras Schultern flossen, und der Schärpen, die auf ihr dunkles Haar fielen.
»Debra verließ kaum mehr ihr Zimmer, und die Zimmergenossin dachte, sie sei vielleicht selbstmordgefährdet.«
»Ach, Rose.« Sima drückte die Hand an den Hals und spürte ihren Puls an den Fingern - eine Geste des Mitgefühls, ein Wunsch nach Schutz.
»Erinnerst du dich noch, wie
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