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Die geheime Welt der Frauen

Titel: Die geheime Welt der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilana Stanger-Ross
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unerreichbar war, wie Sima wusste. Aber jetzt sah sie krank aus - ihre Haut war blass, ihre Lippen waren aufgesprungen, und auf ihrem Kopf zeigten sich dunkle Haarwurzeln. »Hallo, Süße«, sagte Sima, als Timna spät an diesem Morgen in den Laden kam. Sie gab vor, nicht zu bemerken, dass Timna kaum darauf antwortete und ihren Mantel achtlos über die Stuhllehne legte, obwohl sie ihn aufhängen sollte. Ein Wildlederding, das sie in einem Secondhandladen gekauft hatte und das für dieses Wetter, bei dem alle anderen Mädchen anständige, knöchellange Wollmäntel trugen, alles andere als geeignet war.
    »Waren Sie gestern Abend lange aus?« Sima versuchte, einen beiläufigen Tonfall anzuschlagen, hörte aber in ihrer Stimme den missbilligenden Beiklang, den sie noch von den Fragen ihrer Mutter her kannte.
    »Hm. Wir waren in der City, in der Bar, wo Nurit arbeitet. Wir sind gar nicht so lange geblieben. Es hat nur endlos gedauert, bis die U-Bahn kam.« Timna verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte den Kopf darauf.
    »Sie haben die U-Bahn nach Hause genommen?« Diesmal bemühte sie sich nicht, ihre Missbilligung zu verbergen. »Timna, es ist nicht sicher, nachts allein mit der U-Bahn zu fahren, und noch dazu so weit …«
    Timna drehte den Kopf in Simas Richtung, hielt aber die
Augen geschlossen, während sie antwortete. »Ich war nicht allein. Shai und Nurit waren dabei.«
    Sima nickte. Sie wollte Timna warnen, dass diese Freunde vielleicht nicht der richtige Umgang für sie seien - bis spätnachts ausgehen, dann mit der U-Bahn heimfahren -, wusste aber nicht genau, was sie sagen sollte. »Du bist bloß eifersüchtig«, hatte Lev gesagt, als sie sich beklagte, Timnas Freunde würden sie nie begrüßen, wenn sie im Laden vorbeikamen, sondern immer nur mit gleichgültig uninteressierter Stimme nach Timna fragen, wie so viele junge Leute heutzutage. »Es ist doch normal für ein junges Mädchen, Freundschaften zu schließen«, meinte Lev.
    »Ich weiß, was normal ist«, antwortete Sima, packte demonstrativ Lebensmittel aus und schlug die Schranktüren zu, »aber die sind nicht nett, nicht freundlich.«
    Seit ihrem Geständnis waren Lev und sie zu ihrem üblichen einsilbigen Austausch zurückgekehrt, und Sima wusste nicht, ob sie deshalb erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Zumindest hatte er ihr vergeben, aber nach so vielen Jahren des Schweigens war sie nicht sicher, was Vergebung bedeutete. Sie hatte Wut und Ablehnung erwartet, aber diese Art der Leidenschaft war mit all den anderen vor Jahren schon verschwunden.
    »Sie sind in Ordnung. Es ist bloß der kulturelle Unterschied, Sima. Du weißt doch, wie Israelis sind - wie Sabras eben.«
    Sabra: die zähe Kaktushaut, die saftige Frucht. Stachlig außen, aber innen süß.
    Als könnten Menschen auf eine Pflanze reduziert werden.
    »Ich missgönne ihr ihre Freunde nicht«, antwortete Sima und stellte einen Karton Milch beiseite, um Platz für einen Orangensaftbehälter zu machen, »und ich verurteile sie nicht deswegen, ob sie nun Hallo sagen oder nicht.«
    »Weshalb verurteilst du sie dann?«, fragte Lev.

    Sie ignorierte die Frage und beklagte sich, weil er ihr nicht gesagt hatte, dass die Milch fast aus sei und sie jetzt noch einmal in den Laden müsse. Sie war feige, das war ihr klar, aber sie konnte ihm nicht erklären, warum sie gegen Timnas Freunde war - es fühlte sich einfach falsch an, Alon durch diese neuen Leute zu ersetzen. Wenn Timna das wirklich fertigbrachte, was für ein Mensch war sie dann? Und wenn sie es nicht fertigbrachte, sondern sich nur schützte, indem sie ihn wegschob - Sima wusste, dass dies der Fall sein musste -, dann war es ihre Aufgabe, Timna zu helfen, wieder zu ihm zurückzufinden.
    Timna riss die Augen auf und gähnte mit weit aufgerissenem Mund. »Tut mir leid, ich weiß, ich sollte nicht so müde zur Arbeit kommen. Ich weiß nicht, warum, aber in letzter Zeit bin ich einfach nur erschöpft.«
    »Wenn Sie heimgehen und sich ausruhen wollen …«
    »Sima, Sie sind einfach zu nett zu mir. Vielleicht brauche ich bloß etwas Kaffee. Gibt’s oben welchen?«
    »Natürlich, natürlich. Gehen Sie - Lev wird begeistert sein, wenn er Ihnen irgendeinen Artikel vorlesen darf.«
    Timna stand auf, streckte die Arme über den Kopf, die Hände gefaltet, ihr Rücken durchgedrückt. Sima beobachtete, wie sie sich weit zurücklehnte, bevor sie sich vorbeugte, die Hände um die Fesseln legte und die Brust an die Knie drückte. Wie eine

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