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Die geheime Welt der Frauen

Titel: Die geheime Welt der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilana Stanger-Ross
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Gebot des Eintauchens pries. Ohne innezuhalten, sagte sie das Gebet, das sie als Braut gesprochen hatte: »Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, Herrscher des Weltalls, der uns am Leben gehalten und es uns ermöglicht hat, diese Jahreszeit zu erreichen.« Als sie zu den letzten Worten kam, »diese Jahreszeit«, lazman hazeh, brach ihre Stimme. Heiße Tränen liefen ihr übers nasse Gesicht, und sie beugte sich erneut hinab, um sie im Wasser wegzuwaschen, sie zu verbergen, wie sie es nachts tat, wenn Lev schlief und sie
im Badezimmer vor dem Spiegel weinte und etwas Trost aus dem gequälten Gesicht zog, das ihr entgegenstarrte.
    »Was ist los, meine Liebe?«, fragte die alte Frau, als Sima wieder auftauchte, und ihre Stimme klang weicher, als Sima erwartet hatte, beruhigend geradezu.
    Sima schüttelte den Kopf und schloss die Augen.
    »Bist du verheiratet?«
    Sima nickte.
    »Kinder?«
    Sima drückte die Faust an die Lippen und biss leicht hinein, um sich zu beherrschen.
    »Das nächste Mal vielleicht. Jede Frau erlebt diesen Verlust. Wie weit warst du?«
    »Im zweiten Monat«, antwortete Sima.
    »Im zweiten Monat? Ja, das ist hart. Vielleicht das nächste Mal, meine Liebe. Du bist noch jung.« Die Frau tätschelte ihr beiläufig den Kopf, als sie herausstieg.
    Im Umkleideraum trocknete sich Sima sorgfältig ab. Sie berührte die Narbe an ihrem Bauch, ein roter Wulst. Die Frau musste blind gewesen sein, den nicht zu bemerken, und ihre Kontrolle, was Nagellack und Schmuck anbelangte, war nur vorgetäuscht. Sima wurde einen Moment lang ärgerlich und wollte sich über sie beschweren. Es war schließlich ein Ritual, die Angestellte sollte ihr Handwerk verstehen - es konnte etwas passieren, Frauen konnten ertrinken. Aber nein, sie war bloß eine alte Frau, die Arbeit brauchte. Die Kinder, die sie gehabt hatte, hatten sie jedenfalls ihrem Schicksal überlassen.
    Seit der Operation waren zwei Monate vergangen. Die Schwester hatte ihr geraten, Kakaobutter auf die Narbe zu reiben, damit das Gewebe glatt blieb, aber Sima hatte sich nicht darum gekümmert. In den ersten paar Wochen war die Narbe nur eine saubere, scharfe Linie gewesen, die sich vom Bauchnabel
bis zu den Schamhaaren zog - eine weitere rote Linie, die auf etwas hinwies. Als sie sich verdickte und die Farbe dunkler wurde, schien der Verlauf ihrer Veränderung ihre Traurigkeit zu rechtfertigen.
    Die physische Narbe sollte ein Symbol ihres Verlusts sein.
    »Sie brauchen sie jetzt nicht mehr«, hatte der Arzt gesagt, »und bei kinderlosen Frauen gibt es alle möglichen Probleme, wovon Krebs natürlich das Schlimmste ist. In Anbetracht Ihrer Fibrome wäre es mir lieber, wir würden gleich alles rausnehmen. Und heutzutage ist eine Hysterektomie wirklich ein ganz einfacher Eingriff.«
    Sie war dreißig Jahre alt.
    Sima nickte und unterschrieb die Formulare. Lev wagte es einmal zu fragen, ob sie wirklich sicher sei. »Natürlich bin ich sicher«, antwortete Sima und wollte keine Angst zeigen, aus Sorge, es könnte sie abhalten.
    Lev drang nicht weiter in sie.
    Natürlich, das würde er nie tun, dachte sie.
    Einige Tage nach der Operation schob Lev sie im Rollstuhl aus dem Krankenhaus. Der Rollstuhl war schwierig zu manövrieren. Sima hatte das Gefühl, bei jeder Ecke die Wand zu streifen. »Lev! Pass auf!«, rief sie und wunderte sich, wie beschädigt sich ihr Körper anfühlte, wie verletzlich. In der überfüllten Eingangshalle hielt sie den Atem an, bis sie, gleich vor den Türen, wieder aufstehen durfte.
    Sima lehnte sich gegen die Scheiben am Eingang, während Lev eilig den Wagen holte und neben ihr hielt. Auf dem Beifahrersitz lag ein Stofftier, ein kleiner weißer Hase mit rosa Augen, Ohren und Nase.
    »Ein Häschen?«
    Lev nickte. »Für dich. Ein Geschenk.«
    »Es ist Ostern. Sie werden im Drugstore verkauft.«

    Lev antwortete nicht.
    Sima drehte das Fenster herunter und warf das Häschen auf den Parkplatz. Dennoch blickte sie zurück, als sie wegfuhren: Es lag seitwärts auf dem Beton, ein paar Barthaare reckten sich in den Himmel hinauf.
    Auf dem Weg aus der Mikwa blieb Sima stehen, um ihre Tasche zu öffnen und Geld in die Büchse an der Tür zu werfen. Die Frau mit dem Tuch schloss die Tür nicht hinter ihr, und Sima, die sich an ihre Mutter erinnerte, verabschiedete sich nicht.

Januar

20
    S ima runzelte die Stirn. Es war schlimm genug, dass Timna Alon verlassen hatte, um sich auf die Suche nach einer strahlenden Zukunft zu begeben, die ohnehin

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