Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
Aschenschale nicht ausgeleert wurde. Zunehmend schienen sie getrennte Leben zu führen – Daniel war mit Feldarbeit oder Schreiben beschäftigt, Fay wurde immer ruheloser, lief griesgrämig durchs Haus, spazierte im Dorf herum oder radelte am Nachmittag nach Ely. Daniel sah sich außerstande, die langsame, aber stetige Entfremdung zwischen ihnen aufzuhalten. Er selbst war müde und mit Sorgen beladen und vermochte nicht auszumachen, woran es lag. Nur manchmal, wenn er abends hinausging, um den Hühnerstall zu verschließen, und das Leuchten der Sterne vom unnatürlichen Glanz der Abbey überstrahlt wurde, verfluchte Daniel ein launisches Schicksal, das ihn in das sumpfige Land am Fluß verschlagen hatte, und Nicholas Blythe, der unangetastet und sicher dort oben saß.
    William war vier Wochen alt, als Nicholas Nanny Harper vom Bahnhof in Ely abholte. Zu ihrer großen Freude hatte Thomasine es am Morgen geschafft, wieder einen der Röcke anzuziehen, die sie vor der Schwangerschaft getragen hatte. Ihr Haar mußte dringend geschnitten werden, dachte sie beim Blick in den Spiegel, aber es war schön, wieder schlank zu sein und ohne außer Atem zu geraten die Treppen hinauflaufen zu können.
    Thomasine begleitete den Neuankömmling in die Kinderzimmer, zeigte ihr den großen, luftigen Aufenthaltsraum, das angrenzende Badezimmer und das Schlafzimmer und stellte ihr Martha, das Dienstmädchen, vor. Nanny Harper war etwa fünfundvierzig, knochig, mit markanten Gesichtszügen und makelloser Haube und Cape. Sie beugte sich über Williams Wiege.
    Â»Wieviel hat das Kind bei der Geburt gewogen, Lady Blythe?«
    Â»Fast sieben Pfund«, antwortete Thomasine stolz.
    Â»Ein gutes Gewicht. Also sechsmal am Tag füttern, Martha«, sagte Miss Harper an das Mädchen gerichtet, »in regelmäßigen Abständen von vier Stunden. Morgens und abends natürlich ein Bad. Ich bin sicher, das kleine Kerlchen macht keinerlei Schwierigkeiten.«
    Liebevoll blickte Thomasine auf das Baby in der Wiege hinab. Es begann, sich zu bewegen.
    Â»Am Abend scheint er ein bißchen unruhig zu sein, Nanny. Dann muß ich ihm manchmal eine Extraflasche geben.«
    Nanny Harper hatte ihr Cape abgenommen, hängte es an die Rückseite der Tür und zog die Falten ihres Kleides glatt.
    Â»Regelmäßigkeit ist das wichtigste für ein Kind dieses Alters, Lady Blythe. Schlechte Angewohnheiten müssen gleich im Keim erstickt werden, bevor sie außer Kontrolle geraten. Außerplanmäßiges Füttern und unnötiges Getue machen das Kind nur kränklich und unzufrieden.«
    Nanny Harper lächelte. Sie schien viel zu viele Zähne zu haben, dachte Thomasine verwirrt: große, vollkommen weiße, glänzende Zähne. Ihre Augen waren blaugrau und kalt. Sie öffnete Schubladen und Körbe und überprüfte die Ausstattung.
    Â»Es scheint alles ganz zufriedenstellend zu sein, Euer Ladyschaft. Noch ein Dutzend Windeln vielleicht, und das Becken im Badezimmer könnte ein bißchen mehr glänzen, aber ansonsten scheint alles in bester Ordnung zu sein.«
    Das Quengeln des Babys war lauter geworden und drohte gleich in lauthalses Schreien überzugehen. Thomasine hob William aus der Wiege, legte ihn an die Schulter und tätschelte seinen Rücken.
    Â»Wann wurde das Kind zum letzten Mal gefüttert, Euer Ladyschaft?«
    Thomasine runzelte die Stirn und dachte nach. »Nach dem Mittagessen, glaube ich. Etwa um zwei. Ich hab nicht auf die Zeit geachtet …«
    Nanny Harper erlaubte sich ein leises Seufzen. »Wir müssen die Dinge wirklich besser im Griff behalten, nicht wahr? Die Fütterungszeiten des Kindes sollten auf die Minute genau eingehalten werden. Das ist von größter Wichtigkeit. Zwei Uhr? Dann sollte er um sechs wieder sein Fläschchen bekommen.«
    Williams Gesicht war rot und zerknittert. Sein lautes Geschrei erfüllte den Raum.
    Â»Aber er hat jetzt Hunger, Miss Harper …«
    Â»Schreien tut dem Kind gut. Es trainiert die Lungen. Nun, Lady Blythe, ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Alles scheint ja soweit in Ordnung zu sein.«
    Thomasine erwiderte halsstarrig: »William ist hungrig, Nanny.« Dann setzte sie sich in den Stillstuhl ans Fenster und knöpfte ihre Bluse auf. Aber entweder hatte William zu lange warten müssen, oder der mißbilligende Blick der Nanny hatte ihre Milch sauer

Weitere Kostenlose Bücher