Die geheimen Jahre
wieder in sein Bettchen zurück.«
Das Schreien hatte nachgelassen, aber die kleinen, geröteten Augen sahen mitleiderregend zu Thomasine auf.
»Vielleicht hat er Durst, Nanny â eine Erkältung kann sehr durstig machen.«
Nanny Harper lächelte nachsichtig. »Ich glaube â wenn ich das so sagen darf â, daà ich das am besten weiÃ, Euer Ladyschaft. SchlieÃlich ist William Ihr erstes Kind, aber mein sechstes.«
Thomasine muÃte sich auf die Zunge beiÃen, um sich zu beherrschen und die richtigen Worte zu finden. Ruhig erwiderte sie: »Sie mögen sich um die Kinder anderer Leute gekümmert haben, Nanny, aber William ist mein Kind, und ich kenne ihn am besten. Und ich finde, es wäre grausam, ihn noch eine Stunde auf Essen oder Trinken warten zu lassen, und grausam, ihn in sein Bettchen zurückzulegen, wenn er sich offensichtlich auf dem Arm viel wohler fühlt.«
Schweigen trat ein. Thomasine sah, daà Martha die Hand auf den Mund gelegt hatte und ihre Blicke zwischen Nanny Harper und ihr hin- und herschossen. Genausowenig entging ihr, daà Lally sie neugierig beobachtete und daà in ihren dunklen, schrägen Augen weder Anteilnahme noch Kritik zu lesen war.
Miss Harper richtete sich zu voller GröÃe auf, so daà sich ihr Busen wie die Brust einer Kropftaube vorwölbte.
» Niemals in all meinen Jahren als Kinderschwester ist meine berufliche Qualifikation angezweifelt worden, Lady Blythe â¦Â«
Lally unterbrach sie: »Zeit zum Teetrinken, Thomasine. Unten werden sie vor Gier nach frischen Scones schon mit den FüÃen scharren.« Sie sah aus dem offenen Fenster. » Schrecklicher Ort. Sieh dir das an â alles völlig grau. Eigentlich sollte doch Sommer sein. Wie hält Nick das bloà aus? Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich wieder hier leben müÃte.«
Als Thomasine auf die Uhr im Kinderzimmer sah, stellte sie fest, daà es fast zehn nach vier war. Sie zwang sich, Miss Harper in die Augen zu sehen.
»Sie werden William einen Schluck Wasser geben, Nanny. Und wenn er wieder zu schreien anfängt, lassen Sie mich holen. Und ich wünsche benachrichtigt zu werden, wenn Dr. Lawrence eintrifft.«
Sehr vorsichtig bettete sie William wieder in seine Wiege. Als sie das Kinderzimmer verlieà und die Treppe hinunterging, stellte sie fest, daà sie zitterte. Lally, die neben ihr war, sagte: »Sie weià es vermutlich am besten, weiÃt du. Babys sind schrecklich komplizierte Wesen.«
Vor der Tür zum Salon blieb Thomasine stehen. Lally fügte hinzu: »Ich sollte reingehen und die Sache hinter mich bringen. Sonst macht Marjorie wieder die Honneurs, und das wäre unerträglich. Ich kann es nicht ausstehen, wenn sich Marjorie so schrecklich aufspielt.«
Thomasine holte tief Luft und trat in den Salon. Das Tablett mit den Teekannen, der unterteilten Teebüchse, den Kannen mit heiÃem Wasser und dem Spirituskocher stand bereits auf dem Tisch. Mädchen brachten Teller mit Teegebäck, Sandwiches und Kuchen herein. Thomasine setzte sich auf den einzig freien Stuhl neben dem Teegeschirr. Sie hatte diese Zeremonie noch nie gemocht. Alles war zwar sehr vornehm, aber schrecklich unpraktisch: Die silbernen Henkel der ziselierten Krüge und Kannen waren schmal und anmutig geschwungen, aber der Benutzer riskierte, sich die Knöchel zu verbrennen, und die Flamme des Spirituskochers loderte immer zu hoch oder ging ganz aus.
Sie zwang sich zu äuÃerster Konzentration. Versuchte, die peinlichen MiÃgeschicke des vorhergehenden Tages zu vergessen, nicht mehr an den Ausdruck des Betrogenseins in Williams Augen zu denken, als sie ihn in seine Wiege zurücklegte. Sich zu erinnern, in welche Kanne sie den indischen und in welche sie den chinesischen Tee geben muÃte. Zu warten, bis das Wasser richtig kochte, damit der Tee richtig brühte. Sich nicht vorzustellen, daà alle sie anstarrten und nur darauf warteten, daà sie einen Fehler machte.
Die Zubereitung des Tees gelang ohne MiÃgeschicke, sie verschüttete keinen Tropfen und wuÃte sogar noch, daà die Frau des Bischofs Milch statt Zitrone nahm. Aber als sie aufstand, um ihrem Gast die Tasse zu reichen, sagte Lady Blythe laut: »Hast du nach William gesehen, Thomasine? Ich fand, daà er ziemlich krank aussah.« Sie starrte ihre Schwiegermutter nur einen Moment an, dann lieà sie die winzige Teetasse
Weitere Kostenlose Bücher