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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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gleichen Stolz sah sie in den Augen von Nicholas, Hilda und Antonia und war vollkommen glücklich.
    Aber nachdem William wieder an die Kinderfrau zurückgeben und die kurze Strecke zur Abbey zurückgelegt war, ging wieder alles schief. Die Tischordnung beim Taufmahl war das reinste Chaos. Herren saßen neben Herrn, Damen neben Gästen, neben denen sie schon den Abend zuvor gesessen hatten, und der arme Earl war vollkommen vergessen worden. Aber sie hatte die Tischordnung doch am Morgen noch überprüft …? Nicholas sah sie an und erwartete, daß sie alles regelte. Von Lady Blythe war weit und breit nichts zu sehen. Der Butler und die Mädchen warteten auf ihre Befehle.
    Thomasine hätte am liebsten gesagt, sie sollten sich setzen und den Schnabel halten, wie sie es bei den unartigen Kindern in Antonias Tanzschule gemacht hatte. Doch Marjorie, Nicks ältere Schwester, sprang in die Bresche und ordnete das Durcheinander. Schließlich kannte sie die Gäste und wußte, wer mit wem verheiratet und wer mit einem rangniedrigeren Mitglied des Adels verwandt war.
    Schon beim ersten Gang bemerkte Thomasine, daß das Essen ein totaler Reinfall war: zu fett, zu trocken, verbrannt und ungewürzt. Nichts paßte zusammen. Mrs. Blatch war zu ehrgeizig gewesen. Murmelnd entschuldigte sie sich für den gefüllten, leider verkohlten Hecht und die überzukkerte, wäßrige Cremespeise. Der Bischof, der neben ihr saß, würgte an einer Gräte. Lady Blythe schüttelte den Kopf angesichts des in Sahne ertränkten, überdekorierten Puddings. Hinterher ergriff Thomasine Hildas Hand und entfloh mit ihr ins Kinderzimmer.
    Â»Du mußt mitkommen und mit mir reden, während ich William stille. Sonst kommen wir nie zu einer richtigen Unterhaltung.«
    Während Nanny Harper im angrenzenden Raum erbarmungslos Martha herumkommandierte, legte Thomasine das Baby an die Brust, und Hilda erzählte von ihren Schülerinnen.
    Â»Meine jüngste Schülerin ist erst sechs Jahre alt. Die Eltern des armen kleinen Dings sind in Indien.«
    William trank gut. Entfernt von den Gästen und Formalitäten, begann Thomasine sich ein wenig zu entspannen.
    Â»Wie können ihre Eltern es bloß ertragen, sie so weit fortzuschicken?«
    Â»Das Klima in Indien ist kleinen Kindern nicht zuträglich, außerdem praktiziert man es nun einmal so.« Hilda warf einen liebevollen Blick auf das trinkende Kind. »Ich erinnere mich, daß Nicholas und Gerald Blythe etwa im gleichen Alter von zu Hause weggeschickt wurden.«
    William wurde schläfrig, ihm fielen die Augen zu.
    Â»William nicht«, flüsterte Thomasine. »Ich werde ihn nie wegschicken. Niemals.«
    Am folgenden Tag begaben sich viele der Gäste auf Wildentenjagd. Thomasine blieb zurück, um die älteren oder weniger unternehmungslustigen Gäste zu unterhalten.
    Der Tag begann schlecht. Nach dem aufregenden Höhepunkt der Taufe wirkten alle gelangweilt und wußten wenig mit sich anzufangen. Der immer wieder einsetzende Nieselregen lud nicht gerade zum Spazierengehen oder Tennisspielen ein. Am Nachmittag, als sie Lally auf einen Besuch zu ihrem Neffen mitnahm, bemerkte Thomasine, daß William sich erkältet hatte. Heiß, rot und unbehaglich strampelnd, lag er in seiner Wiege.
    Â»Er scheint zu fiebern.« Besorgt legte Thomasine die Hand auf die Stirn des Babys. »Ich glaube, ich sollte den Arzt kommen lassen.«
    Â»Das habe ich bereits veranlaßt, Euer Ladyschaft.« Nanny Harper, die gerade Windeln und Hemdchen zählte, lächelte blasiert. »Ich bin sicher, es handelt sich nur um eine kleine Erkältung, die er sich in der zugigen Kirche geholt hat, aber man sollte immer sichergehen.«
    Thomasine legte ihren Sohn an die Brust. Sein Weinen schien ein wenig nachzulassen, als sie ihn sanft wiegte.
    Lally sah ihren Neffen neugierig an. »Sie sehen nie aus wie die Babys in den Bilderbüchern, nicht wahr? Sie sind viel häßlicher. Ich werde ihn nicht halten, wenn es dir recht ist, Thomasine – er sieht ziemlich feucht aus. Außerdem weiß ich nie, was ich mit Babys anfangen soll.«
    Lallys Tageskleid bestand aus purpurfarbenem Satin, und sie rauchte. Ostentativ öffnete Nanny Harper das Fenster des Kinderzimmers. Sie sah auf ihre Uhr. »Er wird erst in einer Stunde wieder gefüttert, Euer Ladyschaft. Martha wird ihn umziehen, und dann muß er wirklich

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