Die geheimen Jahre
nichts.
»Ich finde, die Schmiede braucht uns beide. Und zwar ständig.«
Daniel blinzelte. Eine Ader pulsierte an seiner Schläfe. »In den Ferien, Vater«, flüsterte er. »Vor und nach der Schule.«
Jack Gillory schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht, Junge. Ich kann meine Rechnungen nicht bezahlen, verstehst du? Also sag dem Pfarrer, daà du keine vornehmen Kleider mehr brauchst.«
»Nein« , antwortete Daniel.
Jack ging auf ihn zu. »Nein? Werd nicht frech, Bürschchen. Ich hab genug von deinen Frechheiten. Du tust gefälligst, was ich dir sage.«
Sein Vater war nicht der einzige, der die Geduld verlor. Etwas in Daniels Innerm, das er wochenlang zurückzuhalten versucht hatte, brach aus ihm hervor. »Ich brauch dich nicht, Vater«, zischte er. »Ich hab das Stipendium, und der Pfarrer gibt mir Bücher und Kleider â¦Â« Daniel sprang schnell auf die andere Seite des Ambosses, um einem zweiten Schlag auszuweichen. »Ich werd was Besseres als du, Dad! Ich werd ein anständiges Haus, gutes Essen und ordentliche Kleider haben. Keinen elenden Acker, wo bloà Unkraut wächst, und keine Bruchbude, wo im Winter das Wasser reinläuft â¦Â«
Jack Gillory brüllte wie ein Stier und holte in der trockenen heiÃen Dunkelheit gegen ihn aus.
Daniel schrie: »Ich werd nicht so sein wie du! Nicht sturzbesoffen jeden Abend und grunzend wie ein alter Eber â¦Â«
Er spürte, wie Finger seinen Hals umschlossen und ihn in die Knie zwangen. Das Feuer brannte heià in seinem Gesicht, und wie durch einen Nebel erkannte er die gebogene Form des Ambosses. Dann wurde sein Kopf in Wasser getaucht. Sein Vater hielt seinen Kopf in das Faà mit dem Ungeziefer. Daniel versuchte, nicht zu atmen, weil er Angst vor Würmern in Nase und Mund hatte. Er wehrte sich verzweifelt, aber der eiserne Griff drückte ihn nach unten.
Gerade als er aufgab sich zu wehren, hörte er undeutlich eine Stimme rufen: »Jack! Nein! « Er wurde losgelassen und kniete schluchzend und keuchend, den Kopf in die Arme gelegt, neben dem FaÃ.
Als er wieder stehen konnte, taumelte er an seinem Vater und seiner Mutter vorbei, ergriff sein abgelegtes Hemd und wischte sich das Gesicht ab. Dann rannte er aus der Schmiede durch den Garten und stolperte über Kohlköpfe und harte Furchen.
Lady Blythe, die mit ihrer Kammerzofe und ihrer älteren Tochter fast eine Woche früher aus London zurückkehrte, fand Drakesden Abbey nahezu verlassen vor. Erhitzt und in staubigen Kleidern, wie sie nach der Fahrt vom Bahnhof in Ely angekommen war, hatte sie keinen Sinn für MüÃiggang und Nachlässigkeit. Erhobenen Hauptes, die Ziegenlederhandschuhe von den Fingern streifend, verlangte sie nach heiÃem Wasser, einem Teller kaltem Salat und einem Glas SüÃwein. Die Diener huschten umher und versuchten, sich einen Anschein von Geschäftigkeit zu geben, aber Gwendoline Blythe lieà sich nicht täuschen. Sie sah den Staub auf den Fenstersimsen, den Tischen und in den Ecken der Treppe. Sie würde die Haushälterin tadeln müssen. Bei der Nachricht, daà Lallys Gouvernante die letzten Wochen fast ausschlieÃlich im Bett verbracht hatte, verhärteten sich vor Zorn Lady Blythes Mundwinkel.
Nachdem sie mit Marjorie gegessen und sich umgezogen hatte, sah sich Lady Blythe höchstpersönlich nach ihren Kindern um. Sie hatte nur gehört, daà sie nicht im Haus waren, sonst schien niemand Näheres über den Verbleib von Nicholas und Lally zu wissen. Sie sehnte sich danach, Nicholas wiederzusehen. Als sie an ihren älteren, neunzehnjährigen Sohn Gerald dachte, lief ihr ein kalter Schauder über den Rücken. Es würde Krieg geben, dachte sie, das müÃte sie jetzt akzeptieren, und Gerald würde sich melden. Daà er sich nicht melden würde, stand nicht zur Debatte. Sie dankte Gott, daà Nicholas erst siebzehn war.
DrauÃen, mit einem Sonnenschirm ausgerüstet, schickte Gwendoline Blythe den Gärtnerjungen in die Ställe. Während sie auf seine Rückkehr wartete, spazierte sie langsam durch die Gärten. Zwei weiÃe Pfauen schlugen in der Hitze ein Rad. Obwohl es am Eheleben einiges gab, dachte Lady Blythe, was ihr immer zuwider bleiben würde, hatte sie ihre Verbindung mit Sir William doch nie bereut. Die Heirat hatte ihr Drakesden eingebracht.
Der Junge kam zu ihr zurückgelaufen.
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