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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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»Mr. Nicholas hat Ihre braune Stute genommen, Euer Ladyschaft. Mr. Dockerill meint, er könnte auf der Koppel sein.«
    Als sie zur Koppel hinunterging, dachte sie an ihre Kinder: Gerald, Marjorie und Nicholas. Und Lally natürlich. Lally war ein Nachzügler, ein unerwarteter später Zuwachs. Sie war überzeugt gewesen, daß sie nach Nicholas keine weiteren Kinder mehr bekäme. Zwei Söhne und eine Tochter gaben schließlich die perfekte Familie ab.
    Auf der Koppel entdeckte sie Nicholas und ließ den Blick lange auf ihrem Lieblingssohn ruhen. Dann sah sie das Mädchen.
    Einen Moment lang hatte sie geglaubt, Lally würde ihre Stute reiten. Aber Lally hatte Angst vor Pferden, außerdem hatte nur ein Mädchen in Drakesden Haar von dieser vulgären Farbe: die ungezogene, impertinente Nichte der beiden Miss Harkers. Lady Blythe rief den Namen ihres Sohnes, und Nicholas fuhr herum.
    Â» Mama! Ich dachte, du seist in London … ist es nicht …«
    Â»Marjorie und ich sind ein bißchen früher zurückgekommen.« Lady Blythe stand im Schatten eines Baums und klappte ihren Sonnenschirm zu. Wolken zogen auf. Es könnte ein Gewitter geben, dachte sie.
    Â»Du hättest ein Telegramm schicken sollen. Ich hätte dich vom Bahnhof abgeholt.« Nicholas’ Gesicht hatte sich dunkelrot verfärbt.
    Â»Sicher.« Gwendolines scharfer Blick erspähte die Überreste eines Picknicks unter dem Baum. »Wir haben ein Taxi genommen. Gerald kommt früher von dem Offizierstraining zurück. Dein Vater ist hingefahren, um ihn abzuholen. Sie kommen morgen mit dem Automobil nach Hause. Dieser verdammte Krieg …«
    Â»Hat er schon angefangen?« fragte Nicholas begierig. »Ist der Krieg erklärt worden?«
    Krieg war unvorhersehbar und bedrohlich. Aber insgeheim hoffte sie immer noch, daß er Drakesden nichts anhaben konnte.
    Â»William meint, daß die Kriegserklärung jeden Tag erfolgen kann. Deutschland läßt seine Armeen durch Belgien marschieren. Ich hatte keine Lust mehr, in London zu bleiben. Es war – wie im Fieber.« Sie hielt inne und fragte dann: »Hast du in den vergangenen Wochen Miss Thorne häufig gesehen, Nicholas?«
    Â»Ach – eigentlich nicht. Nur gelegentlich.«
    Sie wußte, daß er log. Sie war ihm immer nahe gewesen, also konnte sie seine Gedanken und Gefühle auf Anhieb von seinem Gesicht ablesen. Durch die schwierige Schwangerschaft und die zu frühe Geburt war er ihr vielleicht mehr ans Herz gewachsen. Er war der einzige der vier, den sie liebte, sobald sie ihn zu Gesicht bekommen hatte. Bei ihrem älteren Sohn Gerald hatte es ein oder zwei Tage gedauert, aber bei Nicholas mußte sie nur in die schräg stehenden, schwarzen Augen sehen, um zum erstenmal in ihrem Leben zu wissen, was Freude war. Obwohl natürlich alle Kinder von Kindermädchen aufgezogen wurden, hatte jene anfängliche Liebe angehalten und war mit der Zeit immer intensiver geworden.
    Â»Ich hab gesagt, sie soll hier raufkommen und einmal ein ordentliches Pferd reiten.«
    Die unausgesprochene Wahrheit stand trennend zwischen ihnen. Die unnachgiebige Landschaft der Fens, deren sonnenbeschienene Felder von bedrohlichen Wolken verdüstert wurden, schien sie zornig anzufunkeln. Erneut grollte der Donner.
    Miss Thorne ritt am Deich entlang. Während sie zusahen, trieb sie die Stute zum Galopp an. Das Mädchen trug keinen Hut, und sein langes, leuchtendes Haar wehte wie ein Banner hinter ihm her. Gwendoline sah und verstand den Ausdruck auf dem Gesicht ihres Sohnes. Sie holte tief Luft. Der dumme Junge hatte sich in die Nichte der Harkers verliebt.
    Die plötzliche Erkenntnis, daß auch Nicky jetzt angefangen hatte, männliche Wünsche und Begierden zu empfinden, ließ Gwendoline vor Ärger und Enttäuschung erschaudern.
    Â»Ich finde, es ist an der Zeit, daß Miss Thorne nach Hause geht, meinst du nicht auch, Nicholas?« sagte Lady Blythe kühl. »Vielleicht möchtest du sie zum Tor begleiten.« Sie wandte sich um und verließ die Koppel.
    Daniel streifte durch die Obstgärten, die eingefriedeten Gärten und das Labyrinth. Er achtete darauf, von niemandem gesehen zu werden, denn ohne Nicholas war er auf Drakesden Abbey ein Eindringling.
    Als plötzlich jemand hinter einer Lorbeerhecke auftauchte, rannte er die Person fast über den Haufen. Gerade noch rechtzeitig erkannte

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