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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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er, daß es Lally war.
    Â»Ich suche nach Thomasine«, sagte er und versuchte, einen möglichst höflichen Ton anzuschlagen. »Sie war nicht zu Hause. Ist sie hier?«
    Â»Sie ist bei Nicholas«, antwortete Lally. Mit dunklen großen Augen sah sie zu Daniel auf. »Sie mag Nicholas.«
    Ãœber einen verschlungenen Pfad führte sie ihn zum Haus. »Ich wußte, daß du kommen würdest, Daniel«, flüsterte sie im Gehen. »Ich wußte, daß du mich nicht allein lassen würdest. Ich hab ein Geheimnis, verstehst du? Soll ich es dir verraten?«
    Daniel schüttelte erschöpft den Kopf. Sein ganzer Körper schmerzte. Der krachende Donner schien in seinem verletzten Kopf widerzuhallen.
    Lally zuckte bei dem Donner zusammen. Blitze schossen durch einen purpurfarbenen Himmel, und sie steckte den Daumen in den Mund. Daniel sah sie an und fügte freundlicher hinzu: »Ist schon gut, der Blitz sucht sich immer den höchsten Punkt. Er tut dir nichts, Lally. Wir müssen uns nur von den Bäumen fernhalten.«
    Dicke Regentropfen fielen auf die trockene Erde. Lally sagte nervös: »Ich wollte gerade …«, dann gingen ihre Worte in lautem Donnerhall unter.
    Sie befanden sich neben den Gewächshäusern und den Geräteschuppen, die die Gärtner benutzten. Die Felder und Koppeln fielen zur anderen Seite hinab.
    Â»Ist Thomasine beim Reiten?« fragte Daniel.
    Lally hielt die Hände auf den Mund gedrückt, ihre Augen waren sehr dunkel und glänzten stark. Sie griff nach einer von Daniels Händen.
    Â»Da hinein«, flüsterte sie.
    Sie hatte die Tür von einem der Geräteschuppen geöffnet. Daniel dachte, sie suche vielleicht Schutz vor dem Gewitter. Plötzlich fühlte er sich niedergeschlagen und erschöpft. Ihm war klar, daß er nicht hätte herkommen sollen. Er wußte, wie er aussah: zerlumpt und schmutzig, mit einer offenen Wunde an der Schläfe, das Haar noch immer von Wasser und Schweiß an den Kopf geklatscht. Kein Wunder, daß Thomasine die Gesellschaft von Nicholas Blythe vorzog.
    Im Innern des Geräteschuppens war es heiß und dunkel, und es herrschte ein warmer, moderiger Geruch nach Torf und Wurzeln. Lally stand neben ihm. Sie zitterte. Sie war schließlich noch ein Kind, dachte Daniel. Seine Schwester Nell versteckte sich bei Gewitter unterm Tisch.
    Â»Du hast dich am Kopf verletzt«, sagte Lally.
    Sie betastete die Wunde an seiner Stirn. Ihre Finger waren klein und liefen spitz zu. Ihre heiße kleine Hand glitt herunter und blieb auf seiner Wange liegen. Sie war noch ein Kind.
    Als er ihre Lippen auf den seinen spürte, war er vor allem überrascht. Daniel rang nach Luft. Ihre kleine spitze Zunge wühlte sich in seinen Mund, leckte über seine Zähne und seine Zunge. Er spürte ihren heißen Atem. Über ihnen krachte der Donner.
    Lady Blythe hatte die Gewächshäuser erreicht. Ihr Sonnenschirm diente nun dazu, den Regen abzuhalten. Wasser strömte aus dem Himmel und bohrte schwarze Löcher in das verdorrte, staubige Gras wie Pockennarben. Sie hörte ein Geräusch aus dem Geräteschuppen. Da sie dachte, es sei einer der Gärtner, öffnete sie die Tür, um ihn nach Lally zu fragen. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten.
    Was sie sah, konnte sie kaum fassen. Ihre kleine, erst dreizehnjährige Tochter in den Armen des Sohns vom Hufschmied. Lady Blythe schrie entsetzt auf.
    Ihr erster Gedanke war, die Polizei zu rufen, um den Flegel festnehmen zu lassen, der an ihr vorbeistürzte und davonlief. Doch dann fiel ihr ein, daß sie damit auch ihre Tochter kompromittieren würde.
    Â»Er hat mich nicht gezwungen«, sagte Lally trotzig. »Ich wollte es.«
    Selbst als sie ihre Tochter über den Rasen zum Haus zurückzerrte, blieb Lally heulend, sich wehrend und mit dem Fuß aufstampfend, bei ihrer Geschichte. »Er hat mich nicht gezwungen. Ich wollte es«, plärrte sie, und Lady Blythe war froh, daß keiner außer ihr selbst das hysterische Gekreische des Kindes verstehen konnte. Sie verschaffte sich etwas Erleichterung, indem sie Lally eine Ohrfeige gab, um das Schluchzen und die Schreie zu stoppen.
    Dann brachte sie Lally ausnahmsweise selbst zu Bett, weil sie nicht riskieren wollte, daß jemand von der Dienerschaft ihr wirres Geplapper hörte. Während sie Lally auszog und ihr das rote heiße Gesicht

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