Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
gehen«, sagte Thomasine deutlich, »wenn du eine Tasse Tee trinkst. Einverstanden, Daniel?«
    Sie wußte, daß auch ihr in letzter Zeit der Geduldsfaden schnell riß. Nur weil sie die Gemütsverfassung ahnte, die sich hinter seiner Grobheit und seinem Zorn verbarg, gelang es ihr, sich zu beherrschen. Schließlich sah er sie an, wandte den Blick wieder ab und nickte kaum merklich.
    Â»Gut.« Thomasine kletterte die Leiter hinunter.
    Harry Dockerill hatte Feuer im Herd gemacht und die Kübel mit frischem Wasser gefüllt. Durchs Fenster konnte sie sehen, wie er mit der Sense in der Hand über den Hof in Richtung der Felder ging. Einen Augenblick lang wußte sie nicht, wo sie in der schmutzigen Küche anfangen sollte. Es war schrecklich, schlimmer als im Haus der Gotobeds. Der Ziegelboden war mit Erdklumpen und Stroh von den Äckern besät, der Herd von verbrannten Essensresten beschmutzt. Tisch, Kommode und Sofa waren mit Geschirr, leeren Dosen, alten Zeitungen und ungeöffneten Briefen bedeckt. Thomasine krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit.
    Als sie die schmutzigen Tassen und Teller in den Abwasch stapelte, hörte sie Schritte auf der Leiter. Sie drehte sich nicht um, sondern begann mit einem Stück Stahlwolle die Teller abzukratzen. Sie hatte bereits den Wasserkessel aufgesetzt, und allmählich stieg etwas Wärme von der Herdplatte auf.
    Sie sagte: »Ich räume nur ein bißchen auf. Dann mache ich dir eine Tasse Tee, und dann gehe ich.«
    Hinter ihr hörte sie Daniel tief ausatmen, auf und ab gehen und den Unrat auf dem Boden wegkicken.
    Â»Ah. Die Lady aus dem Herrenhaus ist gekommen, um nach dem unwissenden Bauernvolk zu sehen.« Seine Stimme klang verbittert.
    Â»Sei nicht albern, Daniel.« Thomasine schüttete mehr Wasser ins Abwaschbecken. »Du hast Harry nicht aufgemacht, und er hat sich nicht getraut, ohne Erlaubnis die Tür seines Arbeitgebers einzuschlagen. Also mußt du jetzt mit mir vorliebnehmen.«
    Â»Ich brauche niemanden.« Daniels Stimme klang angespannt und gefährlich leise. »Ich bitte dich – befehle dir –, mich allein zu lassen, Thomasine. Ich brauche kein verdammtes Kindermädchen.«
    Mit den Händen im Wasser hielt sie einen Moment inne. Sie wußte, daß er ihr sehr nahe gekommen war, daß er sie bei seinem ruhelosen Auf- und Abgehen flüchtig gestreift hatte. Sie spürte die kaum unterdrückte Gewalttätigkeit, die von ihm ausging, aber auch eine Reaktion in sich, die sie nicht vorausgesehen hatte. Noch heftiger schrubbte sie an den Tellern und hörte, wie er zur Tür, dann zum Tisch und wieder zurück zur Tür ging. Als der Kessel fast kochte, sah sie sich nach der Teedose um.
    Daniel lehnte am Türrahmen und blickte in den Hof hinaus. Doch sie wußte, daß er nicht wirklich hinaussah, daß er nichts sah. Es gab so viel, was gesagt werden sollte, aber sie fand keine Worte dafür und verfluchte sich für ihre Hilflosigkeit. Sie wußte, wie sehr sie ihn an die Frau erinnern mußte, die einst in dieser Küche gearbeitet hatte, die Frau, die er geliebt und die ihn betrogen hatte. Der Name Fay hallte stumm in dem verwahrlosten Raum wider, konnte aber noch nicht ausgesprochen werden.
    Sie machte Tee. »Es gibt keine Milch, aber ich hab viel Zucker hineingetan.« Sie stellte die Tasse auf den Tisch. »Trink ihn, Daniel, bitte – dann fühlst du dich besser.«
    Thomasine sah ihm zu, wie er von der Tür zum Tisch schlurfte. Eine Weile starrte er die Tasse an, als wüßte er nicht, was er damit anfangen sollte, dann holte seine Faust aus, die heiße Flüssigkeit schwappte über die zerkratzte Tischplatte, und die irdene Tasse zerschellte an der Wand. Sie trat einen Schritt zurück. Aber sie hörte ihn flüstern: »Ich hab sie umgebracht, Thomasine, ich hab sie umgebracht.« Wie angewurzelt blieb sie stehen, starrte ihn mit klopfendem Herzen an, unfähig zu glauben, was er gesagt hatte.
    Er mußte den Ausdruck auf ihrem Gesicht verstanden haben, denn seine Fäuste öffneten sich, und er stieß ein bitteres Lachen aus. »Nein, ich hab sie nicht in den Deich gestoßen – ich hab ihren Kopf nicht unter Wasser gedrückt. Trotzdem hab ich sie umgebracht.« Sie hörte die Qual in seiner Stimme.
    Â»Fay ist im Gewitter umgekommen, Daniel. Weil es dunkel war, weil sie nicht richtig sehen konnte und

Weitere Kostenlose Bücher