Die geheimen Jahre
weil die Brücke glitschig war. Das passiert jedes Jahr â das weiÃt du doch. Du hast sie nicht getötet.«
»O doch.« Einen Moment lang wirkten seine Augen ganz wach, vollkommen nüchtern. »Das habe ich. Ich wünschte, ich hätte sie nie hierhergebracht.«
Den Morgenkaffee trank Nicholas immer mit seiner Mutter. »Unsere kleine Wohltat«, wie Mama es nannte. Diese Gewohnheit kam Nicholas zupaÃ: Es gefiel ihm, wenn der Tag fest eingeteilt war und die Aufgaben und Beschäftigungen von vornherein feststanden.
Mama rührte Zucker in seinen Kaffee, als Thomasine hereinkam. Für gewöhnlich trank Thomasine ihren Kaffee oben in ihrem Büro. Sie hatte ein Bündel Papiere in der Hand, das sie Nicholas auf den Schoà warf. Er versuchte, sie aufzufangen, was ihm miÃlang, und so flogen sie übers glatte Parkett des Damenzimmers.
»Die habe ich in deinem Schreibtisch gefunden, Nick«, sagte sie. Ihre Stimme klang angespannt.
Er kniete sich nieder und begann, die Blätter aufzuheben. Seine Mutter sagte: »Das gehört sich doch nicht, Thomasine, in den Privatsachen eines anderen herumzuschnüffeln.«
»Und es gehört sich auch nicht, die Briefe des Bankdirektors zu verstecken, nicht wahr, Nick?«
Nicholasâ Blicke wanderten von seiner Mutter zu seiner Frau und wieder zurück. Lady Blythe funkelte Thomasine wütend an, und Thomasine sah Nicholas nicht weniger zornig an. Er konnte Ãrger und Konflikte nicht ertragen. Er konzentrierte sich auf das Aufsammeln der Rechnungen, Briefe und Zahlungsaufforderungen, die er jeweils zu säuberlichen Stapeln ordnete. Wenn er die kleinen Dinge unter Kontrolle halten konnte, dann würden sich auch die groÃen â Familie, Heim, oder was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte â regeln lassen.
Thomasine fügte hinzu: »Ich bekam heute morgen einen Brief von der Bank. Darin stand, daà sie uns den Ãberziehungskredit kündigen, wenn wir uns nicht binnen vierzehn Tagen melden.«
Inzwischen hatte er alle Zahlungsaufforderungen und Schuldscheine beisammen. Die Briefe von der Bank waren nicht dabei, denn die hatte er verbrannt. Sie waren natürlich an ihn adressiert gewesen, weil Drakesden Abbey ihm gehörte, auch das Geld (was noch davon übrig war) gehörte ihm, nicht Thomasine. Aber mit Geld hatte er noch nie gut umgehen können, und diese immer bedrohlicheren Briefe hatten nichts als blinde Panik in ihm ausgelöst und ihn in seiner Unzulänglichkeit bestätigt.
»Ich habe Rechnungen über Radiozubehör und Autoersatzteile gefunden. AuÃerdem eine riesige Rechnung über Champagner und eine weitere über Picknicksachen von Fortnumâs. Und zwei Abbuchungen über je fünfhundert Pfund, die ich überhaupt nicht zuordnen kann.«
Nicholas blätterte die Schuldscheine durch und zog zwei davon heraus. Er würde Thomasine alles erklären, und dann würde die kluge, vernünftige Thomasine alles regeln.
»Boy hat mich gebeten, ihm ein paar Pfund zu leihen.« Er reichte ihr die Schuldscheine.
Thomasine sah auf die Papiere. » Ein paar Pfund? Tausend Pfund, Nick â tausend Pfund!«
Die Besorgnis in ihren Augen quälte ihn. Er hatte ein wenig Verständnis erwartet. Früher hätte sie ihn verstanden. Aber seit sie nach Drakesden Abbey gekommen waren, hatte sie sich verändert: Sie war härter, weniger nachsichtig geworden. Wenn sie ihn heute ansah, erkannte er oft eine Mischung aus Argwohn und Mitleid in ihrem Ausdruck. Beides ertrug er nicht.
»Boy wird es mir zurückzahlen«, wich er aus. »Das hat er mir versprochen. Er war eine Weile ein biÃchen knapp bei Kasse, das ist alles. Er wird es mir zurückzahlen.«
Er hörte ihr verächtliches Schnauben. Schon vor langem hatte er bemerkt, daà sie seine Freunde verachtete. Er versuchte, ihr zu erklären, daà er sie brauchte, weil sie die Leere in seinem Leben auszufüllen halfen. »Boy ist ein Freund, Thomasine«, sagte er.
Mama fügte hinzu: »Natürlich muà Nicky seinen Freunden beistehen, wenn sie in Schwierigkeiten sind. Es wäre unvorstellbar für ihn, das nicht zu tun.« Und er sah sie dankbar an, froh, daà sie ihn, wie immer, verstand.
Er bekam Kopfschmerzen, bereits so früh am Tag. Eigentlich hatte er diesen Morgen einen längeren Ausflug geplant â er wollte Lally überreden, früh
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