Die geheimen Jahre
Toilettentisch holte und zwei Gläser eingoÃ. Alice war sehr betrunken, wie Lally vermutete. Und vielleicht nicht nur betrunken.
Plötzlich schoà Lally ein Bild durch den Kopf, als Alice ihr das Glas reichte: Thomasine, die in dem Café in Paris mit einem Schauspieler tanzte.
»Thomasine war schrecklich nett zu diesem Schauspieler, nicht? Wie hieà er doch gleich?« Sie versuchte, sich zu erinnern. »Clive, nicht wahr?«
»Clive Curran.« Alice starrte in ihren Gin. »Viele von uns waren schrecklich nett zu Clive Curran. Dem Mistkerl.«
Lally dachte schnell nach. »Sie hatte eine Affäre mit ihm, stimmtâs?«
Zum erstenmal wirkte Alice argwöhnisch. »Woher soll ich das wissen.« Sie wandte sich ab und begann, sich Pflegecreme ins Gesicht zu schmieren.
»Ach, kommen Sie«, sagte Lally. »Sie waren doch Freundinnen. Ich bin bloà neugierig, das ist alles. Ich würde gern die Einzelheiten erfahren.« Sie nippte an ihrem Gin, der pur und lauwarm war, und versuchte, ruhig zu bleiben. »Er sah ziemlich toll aus. Bei ihm wäre ich selbst nicht abgeneigt gewesen.«
»Im Bett allerdings ein verdammter Reinfall, Teuerste. Ich hab Ewigkeiten gebraucht, um das rauszufinden. Wie eine Verrückte bin ich ihm bis nach Italien nachgefahren, dem egoistischen Dreckskerl. Hat nur an sich selbst gedacht.«
Alice rieb sich die Creme auf die Haut und wischte sie dann mit einem Tuch ab. Sie sprach inzwischen undeutlich, lallend. Sie kippt jeden Moment um, dachte Lally, und dann erfahr ichâs nie. Wie gehtâs dem Kind? Was hat sie gekriegt? Lally zündete sich zur Beruhigung ihrer Nerven eine weitere Zigarette an.
»Er hat Thomasine im Stich gelassen, stimmtâs? Hat sie in Schwierigkeiten gebracht und ist auf und davon?«
»Dann hat sieâs Ihnen also erzählt?« fragte Alice. Die Zigarettenspitze in Lallys Hand begann zu zittern. Im Spiegel traf sich ihr Blick mit dem der Frau, und Alice flüsterte: »Sie habenâs nicht gewuÃt!«
Lally schüttelte den Kopf. »Bis jetzt nicht.« Ihre Stimme war ganz ruhig, aber ihre Gedanken rasten bei dem Versuch herauszufinden, was ihre Entdeckung bedeutete. »Thomasine hat meinen Bruder geheiratet, verstehen Sie, ein paar Wochen, nachdem er sie in Paris getroffen hat. Ich frage mich, ob er von dem Baby wuÃte? Und ich frage mich, was mit dem Baby passiert ist?«
Alice erhob sich von ihrem Hocker. Flaschen, Zigaretten und Taschentücher fielen zu Boden, als sie gegen den Toilettentisch taumelte.
»Ich hab mich vertan. Hab zuviel getrunken, meine Liebe. Ich hab Thomasine mit einem der anderen Mädchen verwechselt.«
Lally öffnete ihre Tasche. In ihrer Börse waren eine Fünf-Pfund-Note und ein paar Münzen.
»Setzen Sie sich. Ich möchte alles wissen, Alice.«
Alice tat, wie ihr geheiÃen wurde. Sie sah verängstigt aus. Ihre Angst war selbst durch den Alkoholschleier noch deutlich erkennbar. Lally ging zu Simon hinaus, der im Gang auf sie wartete.
»Gib mir dein Geld, Simon. Alles. Eine ganz unglaubliche Geschichte â stell keine Fragen, ich erzähl dir später alles.«
Simon gab ihr fast dreiÃig Pfund. In der Garderobe legte Lally das Geld vor Alice.
»Hier bitte. DreiÃig Pfund, zwölf Shilling und neun Pence. Damit kämen Sie aus diesem Loch raus, nicht wahr? Sie müssen mir nur alles über Thomasine Thorne und Clive Curran erzählen.«
Keine Antwort. Alice zitterte.
Lally fügte hinzu: »Sie müssen es mir erzählen, Alice. Wenn nicht, erzähle ich Ihrem Chef von dem Gin und dem anderen Zeug. Was nehmen Sie â ist es Marihuana oder Kokain? Ich seh es Ihren Augen an. Den Pupillen. Wo haben Sie es versteckt? In Ihrer Handtasche ⦠in dieser Schublade â¦?«
Tränen kullerten aus Alices schwarzen Augen.
Lally flüsterte: »Sie bekämen nirgendwo mehr einen Job. Nicht mal in einer Spelunke wie dieser. Und was wäre dann, Alice? Sie wissen schon was â Sie haben die Mädchen drauÃen auf der StraÃe gesehen. Sie möchten doch nicht so enden wie diese Mädchen, Alice?«
Langsam schüttelte Alice den Kopf. Dann sagte sie zitternd: »Ich hab versucht, ihr zu helfen. Aber das dumme Ding wollte die Sache nicht durchziehen.«
Sie saà am Tisch vor dem Erkerfenster und sah Antonias Sollbuch durch, als drauÃen ein Wagen vorfuhr. Er fiel ihr auf, weil es
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