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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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vom Fenster abgewandt. »Nicht wirklich. Eine Weile war mir bei den gepanzerten Wagen … und den Gewehren … nicht ganz wohl. Aber ich fahre heute abend nach Drakesden zurück. Und dort ändert sich nichts.« Sein kurzes Auflachen klang nicht fröhlich. »Rein gar nichts.«
    David Franks sah auf seine Notizen hinab. »Wie stehen die Dinge zu Hause, Nicholas?«
    Â»Ach, prima. Alles in bester Ordnung.«
    Schweigen trat ein. Von der Straße klangen Jubelrufe herauf, als der Lastwagenkonvoi in den Hyde Park einbog.
    Â» Möchten Sie, daß sich etwas ändert?«
    Nicholas faltete die Zeitung zusammen und trat vom Fenster weg. Es gab eine Couch und einen Stuhl. Er wählte den Stuhl. »Oh, ich glaube nicht. Früher wollte ich das wahrscheinlich. Aber jetzt kümmert es mich nicht mehr besonders. Schließlich läßt sich doch nichts ändern.«
    Wieder Schweigen. Dann sagte David vorsichtig: »Nichts ist unveränderlich, Nicholas.«
    Â»Gott ist es, hat man mich gelehrt. Und die Vergangenheit. Und Drakesden.«
    Â»Die Religion wollen wir jetzt einmal beiseite lassen. Und was die Vergangenheit anbelangt, so können wir vielleicht unsere Einstellung dazu ändern. Aber sagen Sie, Nicholas, warum glauben Sie, daß Drakesden unveränderlich ist?«
    Nicholas zündete sich eine Zigarette an. »Nun – Sie sollten es sich ansehen, David. Man pflanzt irgendwelches armselige Gemüse an, und wenn der Deich nicht überläuft und das meiste davon ertränkt, bläst der Wind aus dem verdammten Sibirien herein und reißt es aus. Wie sehr man sich auch bemüht, die Gegend zu kultivieren, sie verwandelt sich immer wieder in einen urtümlichen Sumpf zurück.«
    Â»Dennoch bleiben Sie dort. Sie haben sich entschieden, dort zu leben, Nicholas.«
    Nicholas sah ihn verständnislos an. »Ich habe mich entschieden … Ich glaube nicht, daß es sich dabei um eine freie Entscheidung handelt.«
    Er blieb eine Weile sitzen und dachte nach. Bis zu diesem Augenblick hatte er seine Entscheidung, in Drakesden zu bleiben, unter demselben Aspekt gesehen wie den Hauptteil seines Lebens seit 1914. Eine Mischung aus Pflicht und Apathie, ohne Wahlmöglichkeit.
    David sagte: »Sie könnten verkaufen. In die Stadt ziehen.«
    Nicholas grinste. »Mama wäre außer sich, wenn sie solche ketzerischen Reden hören würde, David. Die Blythes sitzen schon seit vierhundert Jahren in den Fens.« Doch während er redete, wußte er, daß der Psychiater recht hatte, daß er aus freien Stücken in Drakesden geblieben war. Bis zu einem gewissen Grad hatte er sich damit abgefunden, wer er war, ebenso mit den Pflichten, die mit dieser Stellung verbunden waren. Er blieb nicht allein aus Pflichtgefühl oder aus Angst vor seiner Mutter in Drakesden.
    Verwundert fuhr er fort. »Ich beschütze sie. Ich beschütze Mama.« Dabei sah er zweifelnd zu David auf, als ob er sich vergewissern wollte, ob diese plötzliche und verblüffende Erkenntnis richtig sein konnte.
    Davids Lächeln war schwach und hart verdient. »Sie sind dabei zu ergründen, was Sie Ihrer Mutter gegenüber empfinden, Nicholas. Das ist sehr gut. Möchten Sie diese Gefühle ein bißchen genauer erforschen?«
    Nicholas runzelte die Stirn. Er hörte den Lärm der Menge draußen und auch das Knirschen der Lastwagenräder nicht mehr. Zögernd antwortete er: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie liebe . Früher habe ich sie geliebt. Als Kind habe ich sie natürlich nicht oft gesehen, aber sie kam mir immer vollkommen vor. Wenn ich nach den Ferien in die Schule zurückkehrte, küßte sie mich. Sonst nie. Sie roch nach Nelken. Sie war schön.«
    Es war still im Raum. Nicholas fügte hinzu: »Aber nach der Scheidung …« Seine Hand zitterte. Zigarettenasche fiel auf den Teppich. Er beugte sich hinunter und versuchte, sie mit dem Taschentuch wegzuputzen.
    Â»Das macht nichts, Nicholas«, sagte David ruhig. »Lassen Sie sich Zeit.«
    Schließlich antwortete Nicholas: »Wissen Sie, ich war krank nach dem Autounfall. Es war wie ein großes, dunkles Loch. Als Sie mir halfen, da herauszukommen, stellte ich fest, wie sehr sich Mama über die Scheidung freute. Sie hat Thomasine nie gemocht, hat immer geglaubt, sie sei nicht gut genug für mich – und sie hat sie für alles mögliche verantwortlich

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