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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Thomasine. Laß es mich erklären. Hinterher kannst du mir sagen, daß ich ein arroganter, gefühlloser Mistkerl bin.«
    Er rückte einen Stuhl für sie zurecht. Schwerfällig ließ sie sich darauf niedersinken, unfähig, ihn anzusehen.
    Â»Lally ist sehr krank. Sie hat Tuberkulose.«
    Â»Das weiß ich. Ihre Schwester hat’s mir gesagt.« Thomasines Stimme klang scharf und wütend.
    Â»Sie ist in einem Sanatorium in Hertfordshire – angeblich ein guter Ort. Nun – ich hab sie etwa alle vierzehn Tage besucht. Oft ließ man mich nicht zu ihr – also hab ich bloß Blumen oder sonst was abgegeben.«
    Sie sagte nichts, sondern starrte ihn nur wortlos an. Daniel setzte sich neben sie.
    Â»Was ich letzten Dezember gesagt habe, war die reine Wahrheit. Ich hab mich auf einer Party betrunken, Lally war ebenfalls dort und bestand darauf, mit mir nach Hause zu gehen. Und – ja, es stimmt – wir haben miteinander geschlafen. Wenn man es so bezeichnen will. Ich will mich nicht rausreden – ich weiß, daß das keinen Zweck hat. Ich war dumm und wütend, und weil ich dumm und wütend war, habe ich dich verloren. Was ich bitter bereue.«
    Sie sah auf das spielende Kind hinaus. William zog Äste aus dem Haufen, den Eddie aufgeschichtet hatte, und legte sie zusammen, um eine Höhle zu bauen. Sie flüsterte: »Lally muß dir doch etwas bedeuten, sonst würdest du sie schließlich nicht besuchen, Daniel.«
    Â»Lally stirbt vielleicht, Thomasine. Und sie hat sonst niemanden. Ihre beiden Brüder sind tot. Ihre Mutter bezahlt zwar das Sanatorium, besucht sie aber nie. Gelegentlich kommt ihre Schwester vorbei, aber die hat einen invaliden Mann und kann die Fahrt nicht oft machen.«
    Â»Belle und Julian«, stieß Thomasine aufgebracht hervor. »Lallys Londoner Freunde …« Noch während sie sprach, fiel ihr ein, daß wahrscheinlich keiner dieser strahlenden, eleganten Leute als Lally Blythes Freund bezeichnet werden konnte.
    Daniel schüttelte den Kopf. »Viele Leute gehen nicht in Krankenhäuser. Vor allem nicht in Sanatorien mit Lungenkranken. Dort ist es zugig und kalt, außerdem liegen sie meilenweit von jeder Ansiedlung entfernt. Ich hab die Ärzte gefragt, Thomasine. Sie hat fast nie Besuch.«
    Â»Also denkst du, weil ich ihre Schwägerin war …«
    Er schüttelte den Kopf. Sie merkte, daß er ganz gegen seine Gewohnheit nach Worten suchte. »Ich bitte dich nicht deswegen. Es ist nur …« Daniel blickte zur Decke und runzelte die Stirn, »daß wir irgendwie miteinander verbunden waren. Du, ich, Nicholas und Lally.«
    Wie bei einem Tanz, dachte sie. Nicholas, Lally, Daniel und sie, eingehakt bei einem dieser alten ländlichen Tänze, wo man sich ständig umeinander drehte, zuerst den einen Partner an den Händen hielt, dann den anderen.
    Sie wich seinem Blick aus. Sie wußte, daß es tausend unausgesprochene Worte zwischen ihnen gab und daß sie immer noch zu wütend war, um sie auszusprechen.
    Â»Ich fühle mich verantwortlich, verstehst du, Thomasine. Ich habe mich auch für Nicholas verantwortlich gefühlt«, hörte sie ihn sagen.
    Jetzt sah sie ihn verstört mit weit aufgerissenen Augen an.
    Â»Es war doch wohl kein Zufall, oder? Seit Jahren spreche ich zum erstenmal wieder mit Nicholas, wir tauschen ein paar gutgehütete Geheimnisse aus, und am nächsten Tag bricht er sich auf einer geraden Strecke, ohne daß ein anderes Fahrzeug daran beteiligt gewesen wäre, das Genick.«
    Thomasine schrak zusammen. »Geheimnisse? Was für Geheimnisse?«
    Â»Nicholas erzählte mir, was ihm im Krieg passiert ist. Und ich hab ihm von Lally erzählt. Als wir Kinder waren, meine ich. Ich muß wohl was Seltsames gesagt haben. Keine Ahnung. Vielleicht hat er bedauert, mir soviel gestanden zu haben … vielleicht konnte er es noch immer nicht ertragen, daß seine Schwester mich geküßt hat …«
    Â»Vielleicht wußte er, daß er Drakesden nicht halten konnte.« Thomasines Stimme klang ausdruckslos, bemüht, ihren Schmerz zu verbergen. »Ich hab mir alles wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen, Daniel. Vielleicht wußte Nicholas, daß er das Haus und das Land verloren hatte.«
    Stirnrunzelnd sah er zu ihr auf.
    Â»Ich mußte das meiste des Landes verkaufen – selbst wenn Nicholas am Leben

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