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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Wenn sie mit Clive zusammen war, war ihre Freude fast unerträglich groß, wenn sie nicht bei ihm war, verzweifelte sie, überzeugt, sie hätte bei ihrem letzten Treffen etwas Falsches gesagt und er habe inzwischen eine ältere, erfahrenere Frau kennengelernt. Wenn er sie küßte, war sie im siebten Himmel. Wenn zwei Wochen verstrichen, ohne daß ihr eine Nachricht zugesteckt wurde, wenn sie von der Bühne lief, stürzte sie wieder in tiefstes Elend.
    Clive lehnte sich in seinem Stuhl zurück und zündete eine Zigarette an. »Schau mich nicht so an, Süße. Schließlich ist es deine Entscheidung.«
    Â»Meine Entscheidung?«
    Er inhalierte den Rauch seiner Zigarette und strich sich durch das kurze dunkle Haar. »Proben und Vorstellungen«, zählte er auf. »Diese verdammte Anstandsdame. Die Sperrstunde und die Festung. Ich bezweifle, daß wir uns pro Woche länger als fünf Minuten allein sehen.«
    Thomasine berührte seine Hand. »Wir sind jetzt allein, Clive.«
    Â»Allein?« Clive sah sich ungeduldig um. Einige der pelzverhüllten Damen in dem überfüllten Café starrten ihn ganz unverhohlen an. »Nennst du das allein ?«
    Â»Es ist herrlich. Ich bin furchtbar gern mit dir zusammen.«
    Clive ging nicht auf sie ein. »Ich meine – wirklich allein, Süße. Verstehst du?« Er drückte seine Zigarette aus und sah zu Thomasine auf. Seine Stimme wurde kalt. »Vielleicht verstehst du es auch nicht.«
    Â»Doch.« Sie dachte an den Tag, als sie zusammen im Jardin des Tuileries spazierengegangen waren. Inmitten des überfüllten, geschäftigen Paris schienen die Bäume, die Pfade und die kalte Stille des Nachmittags sie von allem anderen abzutrennen. Als sie am Rand des weiten runden Sees standen und ihr Spiegelbild im Wasser sahen, hatte Thomasine das Gefühl, nur sie beide existierten auf der Welt.
    Â»Du solltest mit mir in meine Wohnung kommen«, sagte Clive. »Parks – Cafés – das ist alles so furchtbar kindisch. Außerdem kostet es mich ein Vermögen. Ich hab gehofft, ich könnte von der scheußlichen Revue ein bißchen was auf die Seite legen.«
    Thomasine starrte in ihre Kaffeetasse. Ihre Gage reichte gerade für die Pension, für Essen, Kleider und Make-up. Selbst die Briefmarken für die Briefe an ihre Tanten waren eine finanzielle Belastung. Und Alices Stimmung schien sich mit dem nahenden Frühling eher verschlechtert als verbessert zu haben. Thomasine wagte nicht, sie um mehr als eine halbe Stunde zu bitten, in der Alice sie decken mußte.
    Â»Es liegt wirklich nur an dir, Thomasine. Denk darüber nach. Aber ich kann nicht ewig so weitermachen. Schau mich an – ich bin schon völlig fertig.«
    Sie sah ihn an. Er saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl, eine Zigarette in der Hand, die Lippen schmollend aufgeworfen. Sie fand, daß er, wie immer, der attraktivste Mann im Raum war. Als sie die Hand ausstreckte, als wollte sie die kleinen Schatten unter seinen blauen Augen wegwischen, ergriff er ihre Finger und küßte nacheinander ihre Fingerspitzen. Einige der Damen im Café sahen neidisch herüber.
    Â»Es liegt ganz an dir, Süße«, wiederholte er. »Ich hab am Freitag nachmittag frei. Wenn du willst, kannst du in meine Wohnung kommen. Die Vorkehrungen dafür überlaß ich dir. Wenn du nicht kommst, weiß ich, daß es aus ist.«
    Er wartete vor dem Eingang der Metro auf sie. Die Straßen waren halb leer, da die meisten Franzosen noch Mittagsruhe hielten. Heimlich beobachtete sie ihn einen Moment, wie er wegen des eisigen Frühlingswinds mit hochgeschlagenem Mantelkragen gegen das Jugendstilgitter des Eingangs gelehnt dastand, und verliebte sich erneut unsterblich in ihn.
    Thomasine berührte seinen Arm und sagte seinen Namen.
    Clive drehte sich um. »Da bist du ja, Süße. Gott sei Dank. Es ist verdammt kalt.«
    Er lächelte nicht, sondern begann schnell den Gehsteig hinunterzugehen. Thomasine fühlte sich oft für Clives Launen verantwortlich und munterte ihn für gewöhnlich mit einer flapsigen Bemerkung auf, über die sie sich später, wenn sie allein im Bett lag, meistens schämte. Jetzt hatte sie Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Unsicher lief sie über die steilen, kopfsteingepflasterten Straßen hinter ihm her. Als sie seine Wohnung

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