Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
nur zornig und beharrte darauf, dass seine Ehre dergleichen niemals zulassen würde. Ich war zutiefst betrübt. Kein Tag verging, an dem ich nicht an Sie dachte und mich fragte, was hätte sein können. Im folgenden März bin ich eigens nach Southampton gekommen, Miss Austen, um
Sie
zu suchen.«
»Mich zu suchen?« Meine Stimme war so dünn und krächzend, dass ich sie kaum wiedererkannte, während sein Tonfall immer drängender wurde.
»Ich konnte es nicht mehr länger ertragen. Ich mussteherausfinden, ob Sie Wirklichkeit waren, ob das, was ich fühlte, Wirklichkeit war oder nur ein Hirngespinst. Irgendwie hoffte ich selbst dann noch, dass ich eines Tages meinen Vater davon überzeugen könnte, mich von meiner Verpflichtung zu entbinden, oder dass wir zumindest Freunde werden könnten. Ich hatte die Absicht, Ihnen sofort von Isabella zu erzählen, aber ich habe es nicht über mich gebracht, diese Worte auszusprechen. Die Zeit, die wir in Southampton miteinander verbracht haben, war die glücklichste meines Lebens. Nach jedem Tag war meine Zuneigung zu Ihnen stärker geworden, und es war nun noch schwerer, dieses Thema anzusprechen. Ich fürchtete, Sie würden mich fortschicken.«
»Das hätte ich auch gemacht«, flüsterte ich und wischte eine ungebetene Träne fort. Ich hätte mehr gesagt, hätten mir nicht meine Empfindungen die Kehle zugeschnürt.
»Jane!«, rief er sanft und kam näher. »Wir waren so viele lange Monate getrennt, und selbst als ich es für unmöglich hielt, habe ich immer nur an Sie gedacht. Sie sind mein Herz, Sie durchdringen meine Seele. Mein Verhalten in Southampton war falsch, unrecht und schwach, und das werde ich ewig bedauern. Aber es geschah nur aus der Furcht heraus, Sie zu verlieren, und aus dem Wissen, dass ich, da ich doch durch das Gelöbnis meines Vaters und Isabellas Erwartungen gebunden war, kein Recht hatte, zu Ihnen zu sprechen – bis jetzt.«
»Bis jetzt?«
»Es hat sich kürzlich eine Veränderung ergeben, eine höchst unerwartete, die …« Er holte tief Luft, rang sichtlich um Fassung. »Man hat es mir streng vertraulich mitgeteilt, aber ich kann es Ihnen nicht vorenthalten. Seit Isabella nach London gekommen ist, war sie anscheinendsehr oft in Gesellschaft eines Herrn, den sie hier kennengelernt hat, eines gewissen Mr. Wellington.«
Mein Herz begann zu rasen. »Ich habe ihn schon gesehen.«
»Gestern Abend kam sie zu mir, um mir ein großes Geheimnis anzuvertrauen. Sie hat mir berichtet, dass Mr. Wellington sie gebeten hat, ihn zu heiraten.«
»Ihn zu
heiraten
?«
»Sie erklärte höflich, Sie hätte immer die Absicht gehabt, die vor langer Zeit getroffene Verabredung unserer Väter einzuhalten, aber ihr Herz sei nun anderweitig vergeben. Und sie bedaure zutiefst alles Unglück, das mir dadurch verursacht werde.«
Ich musste mich abwenden, weil mir die Gedanken wild durch den Kopf schwirrten, weil ich weder zu hoffen noch zu fühlen wagte. »Und was hat ihr Vater zu alldem zu sagen?«, brachte ich mit Mühe hervor.
»Sie wird es ihm nächsten Monat mitteilen, wenn er von den Westindischen Inseln zurückkehrt. Wir haben uns darauf geeinigt, niemandem ein Sterbenswörtchen davon zu erzählen, bis sie ihrem Vater alles gesagt und seinen Segen eingeholt hat. Natürlich habe ich sie ohne jegliches Bedauern und ohne auch nur die Spur eines Vorwurfes aus unserer Verlobung freigegeben, wofür sie mir unendlich dankbar war.«
Mich überwältigte eine Flut derart tiefer Gefühle, dass ich am liebsten aus dem Zimmer gerannt wäre. Doch da ich in einem Haus voller Menschen keinen Ort gefunden hätte, wo ich ungesehen geblieben wäre, konnte ich nur die Hände vors Gesicht schlagen und in Freudentränen ausbrechen, von denen es zunächst schien, als würden sie nie versiegen.
»Verzeihen Sie mir«, hörte ich Mr. Ashfords besorgte Stimme, »ich dachte nur an mich. Bitte, Miss Austen, bitte weinen Sie nicht.«
Meine Tränen strömten so reichlich, dass es mir die Sprache völlig verschlug. Mr. Ashford, dessen Stirn ängstlich besorgt war, reichte mir sein Taschentuch, das ich dankbar entgegennahm. Während ich um Fassung rang, sagte er beunruhigt: »Meine Umstände haben sich so gründlich verändert, dass ich … Vielleicht ist aber schon zu viel Zeit vergangen, seit …«
Er wartete angespannt, während ich mir die Augen trocknete und mich lautstark schnäuzte, was nicht gerade zu Steigerung der romantischen Atmosphäre des Augenblicks beitrug. Endlich fuhr er mit
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