Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
selbstsüchtigen Interessen geleitet wurde. Ich musste mich nicht rechtfertigen. Wenn er eine andere Frau heiratete, dann durfte Marianne all den Schmerz der Zurückweisung und der Scham fühlen, den ich nun selbst verspürte.
Eine ähnliche Erleuchtung erlebte ich, was Edwards und Elinors Geschicke anging. Endlich wusste ich, welch schreckliches Geheimnis Edward wahren musste und was ihn daran hinderte, ihr seine Liebe zu erklären.
»Großer Gott!«, rief Cassandra, als sie die jüngsten Kapitel meines Buchs zu Ende gelesen hatte. Ich hatte in ihnen gerade zwei neue und ziemlich unsympathische Gestalten vorgestellt, die Schwestern Steele. »Diese vier Jahre dauernde geheime Verlobung, die du zwischen Edward und Lucy Steele eingeführt hast …«
»Findest du nicht, dass das ein brillanter und genialer Gedanke ist?«
»Ja«, antwortete Cassandra, »aber es ist so …«
»Traurig? Ärgerlich? Vertraut? Ein Fall, in dem das Leben die Kunst hervorbringt?«
»Ich wollte düster sagen. Die Geschichte ist jetzt viel düsterer geworden.«
»Düster, das passt zu meiner Stimmung«, antwortete ich.
Wenige Tage, bevor wir von Southampton wegzogen, kam ein Brief für mich. Ich erkannte die Handschrift sofort als die von Mr. Ashford, und tatsächlich stand als Absender Pembroke Hall, Derbyshire darauf. Früher hätte ich ein solches Schreiben mit großer Freude willkommen geheißen, aber nun verursachte mir der Anblick Schmerz und Herzeleid. Doch dann spürte ich nur noch kühle Entschlossenheit.
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte ich zum Postboten und reichte ihm den Brief zurück, »aber das muss ein Irrtum sein. Dieser Brief ist nicht für mich. Bitte schicken Sie ihn an den Absender zurück.«
»Ja, Miss«, sagte der Postbote, nahm das elende Schreiben wieder an sich und verschwand.
»Was um alles in der Welt hat dich veranlasst, den Brief zurückgehen zu lassen?«, rief Cassandra aus, als sie hörte, was ich gemacht hatte. »Vielleicht wollte er dir eine Erklärung für alles geben, was geschehen ist. Wolltest du nicht wissen, was er dazu zu sagen hatte?«
»Keineswegs«, erwiderte ich mit aller Schärfe. »Ich kenne die Wahrheit bereits, und wie wohlgesetzt seine Worte auch sein mögen, so könnte diese Erklärung doch nichts ändern. Er ist an eine andere gebunden, das ist eine Tatsache. Er wird sie heiraten, daran besteht keinZweifel. Was kann er mir denn nun noch anbieten, außer Entschuldigungen und dem Versprechen einer Freundschaft – die mir nach der tiefen Zuneigung, die ich gefühlt habe, völlig unmöglich wäre. Nein, wenn mein Herz je heilen soll, wenn meine Gedanken je wieder frei sein sollen, dann muss ich zu dem zurückkehren, was war, ehe ich Mr. Ashford kennenlernte. Ich muss ihn aus meinen Gedanken verbannen.«
»Ich applaudiere deiner Seelenstärke und deiner Entschlossenheit«, sagte Cassandra, und aus ihren Augen strahlten Sympathie und Freundlichkeit. »Aber gar nicht an jemanden zu denken, für den du einmal so tiefe Gefühle gehegt hast, das ist leichter gesagt als getan.«
Sie sprach die Wahrheit. Doch was blieb mir anderes übrig? Kaum fünf Minuten später, als ich damit beschäftigt war, einige Dutzend neue Manuskriptseiten zu einem Büchlein zusammenzufassen und dann zusammenzunähen, klang Mr. Ashfords Stimme wieder in meinem Kopf. Ich hörte im Geist die schönen Worte aus vergangenen Wochen:
»Ihre Arbeiten sind bezaubernd und geistreich … in einem völlig neuen Stil … Nie habe ich je dergleichen gelesen oder gehört … Sie werden veröffentlicht, sie müssen veröffentlicht werden.«
War das alles nur eitle Schmeichelei gewesen? Sein Lob war mir so aufrichtig erschienen. Nun, überlegte ich in einem plötzlichen Wutanfall, es gab noch eine andere Möglichkeit, das herauszufinden. Es würde noch lange dauern, bis
Vernunft und Gefühl
beendet wäre. Aber ein anderes meiner Bücher war fertig und hätte schon vor Jahren veröffentlicht werden sollen.
Ich nahm die Feder zur Hand und beschloss, augenblicklich die Sache anzugehen, die mir schon eine Weile aufder Seele lag. Ich wahrte meine Anonymität, indem ich unter dem angenommenen Namen »Mrs. Ashton Dennis« in Windeseile den folgenden Brief an den Verleger Crosby & Co in London schrieb:
Meine Herren,
im Frühjahr 1803 wurde Ihnen durch einen Herrn namens James Seymor ein zweibändiges Romanmanuskript mit dem Titel
Susan
verkauft. Er erhielt dafür 10 Pfund von Ihnen.
Seitdem sind sechs Jahre ins Land
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