Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
zu offensichtlich, dass sie ihn nicht liebt.«
»Sie hat ihn alt genannt. Alt! Er, Mr. Ashford, ein Mann von vierunddreißig und einer der attraktivsten, gesündesten und männlichsten Männer, die ich kenne!«
»Ich fand das auch ziemlich unverschämt«, gestand mir Cassandra zu, »besonders, da er zwei Jahre jünger ist als ich.«
»Vielleicht hat man ihm das Gefühl vermittelt, er hätte jetzt ein Alter erreicht, da er heiraten und für einen Erben sorgen müsse.«
»Sehr wahrscheinlich.«
»Aber warum hat er sich dann für Isabella entschieden?«
»Sie ist die Schwester seines besten Freundes. IhreFamilie ist ihm seit langem wohlbekannt. Vielleicht haben ihn auch ihre Jugend und Schönheit in den Bann geschlagen.«
»Das erklärt wohl auch die seltsamen Blicke, die Charles und Maria einander manchmal zugeworfen haben«, rief ich. »Sie wussten natürlich von dieser Verlobung und sahen, dass er mir Avancen machte. Warum haben sie nichts gesagt?«
»Mr. Ashford ist der Sohn eines Baronet und mit ihrer Schwester verlobt. Sie würden es nicht wagen, irgendetwas zu sagen, das ihn beleidigen könnte.«
»Oh, es ist alles so schrecklich! Dass ich mich in ihn verlieben musste! Dass ich auf diese Weise herausfinden musste, dass er nicht der Mann ist, für den ich ihn gehalten habe!«
»Ich glaube nicht, dass er uns bewusst irregeführt hat«, meinte Cassandra sanft. »Mr. Ashford schien mir ein ehrenwerter Mann zu sein. Du hast doch selbst gesagt, dass du dir seiner Gefühle nicht sicher sein konntest. Ich bin diejenige, die behauptet hat, er sei in dich verliebt. Vielleicht hat er uns wirklich nur aus Freundschaft besucht? Ich glaube immer noch, dass seine Zuneigung zu dir aufrichtig war.«
»Aufrichtig? Wie kannst du ihn aufrichtig nennen oder einen ehrenwerten Mann?«, rief ich aus. »Welcher Ehrenmann würde denn Tag für Tag eine Frau besuchen und ein tiefes Interesse an ihr vortäuschen, eine Atmosphäre aufbauen, in der ihre Zuneigung zu ihm nur wachsen konnte, während er doch bereits einer anderen versprochen war? Nein, aufrichtig würde ich Mr. Ashford wahrlich nicht nennen! Er versteht es allerdings, der Welt geschickt ein falsches Gesicht zu zeigen, während ergleichzeitig seine wahre Natur verbirgt. Er ist ein Schurke und ein Schuft, mehr nicht. Und ich war für ihn eine Tändelei, ein Vergnügen, mit dem er sich hier in der Stadt die Zeit vertrieben hat.«
»Ich kann mir das nicht vorstellen«, meinte Cassandra. »Und doch habe ich Schwierigkeiten, mir einen Reim darauf zu machen. Es scheint mir nicht in Mr. Ashfords Natur zu liegen, sich so zu verhalten.«
»Oh, wie ich mir wünschte, ich könnte ihn hassen! Aber …«
»Du hasst ihn nicht?«
»Sich lebenslänglich an dieses selbstgefällige Mädchen zu binden – an Isabella, die so jung und unerfahren ist und keinerlei Gefühle für ihn hegt – das ist eine Farce! Können sie denn je miteinander glücklich werden? Ich glaube es nicht. Nein, ich kann ihn nicht hassen. Er tut mir leid.«
»Ich habe Mitleid mit beiden«, sagte Cassandra, »und für dich, meine Liebe, blutet mir das Herz.«
»Wie konnte ich das geschehen lassen? Wie konnte ich mir erlauben, so viel für ihn zu empfinden? Wie konnte ich mich so täuschen?«
»Schelte dich nicht.
Du
hast nichts falsch gemacht. Jedes seiner Worte, jede seiner Handlungen
schien
von seinen Absichten dir gegenüber zu sprechen.«
»Wenn jemand es herausfindet, würde ich vor Scham sterben.«
Cassandra drückte mir fest die Hand. »Wir werden seinen Namen nie mehr erwähnen.«
Unglücklich zu sein, stellte ich fest, ist ein wunderbarer Ansporn für die Kunst.
Während zuvor meine Verwirrung und Traurigkeit meine Schöpferkraft behindert hatten, kehrte nun meine Fähigkeit zum Schreiben mit Macht zurück. Noch nie hatte ich ein solch brennendes Verlangen, nein, einen solch unbändigen Drang verspürt, die Feder zur Hand zu nehmen. Tagelang schrieb ich in blinder Wut, machte nur eine Pause, wenn ich das Bedürfnis verspürte, zu essen, zu trinken oder zu schlafen.
Jetzt hatte ich keine Bedenken mehr, Willoughby als Schurken darzustellen. Die Welt, daran war ich erinnert worden, war eben nicht gerecht, wenn es um die Liebe ging. Sie würde es niemals sein. Es war gleichgültig, dass Marianne ihren Willoughby aus tiefster Seele liebte, es war auch gleichgültig, dass ihr das Herz gebrochen würde. Ich konnte Willoughby als üblen Schuft zeichnen, als einen gewissenlosen Gesellen, der nur von
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