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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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weißt, wo meine Börse ist. Gib ihm das Geld.«
    »Ja, Papa.« Ich stand langsam auf, die Augen fest auf Branwells Augen geheftet. »Ich hole dir dein dreckiges Geld, aber erst, wenn du die Waffe gesenkt hast.«
    Er nahm die Pistole herunter. Als ich aus dem Raum eilte, brachen Martha und Anne in Tränen aus. Erst als ich mit den geforderten Münzen zurückkam, reichte mir Branwell die Waffe und auch die gestohlenen Schlüssel zu Papas Schreibtischschublade, in der sie aufbewahrt wurde. Dann nahm er seinen Hut und verließ das Haus. Ich sank kraftlos auf dem Steinboden des Eingangsflurs zusammen, zitternd vor Angst, wie ich sie nie zuvor verspürt hatte, während ich das kalte Stahlwerkzeug der Zerstörung, das ich in den Händen hielt, mit Furcht und Verachtung anschaute. Endlich kam auch Emily auf den Flur, nahm mir vorsichtig die Pistole und die Schlüssel ab und brachte sie an ihren angestammten Platz zurück.
    Am nächsten Morgen kniete Branwell zu Vaters Füßen nieder und flehte ihn unter Strömen von Verzweiflungstränen um Verzeihung an. Mein Herz schien in mir zu weinen, als ich beobachtete, mit wie viel Beschämung, Mitleid und Entsetzen Vaters Gesicht erfüllt war, als er schließlich aufstand und Branwell in die Arme schloss.
     
    In jener Nacht lag ich am Rande des Schlafes, als eine Erinnerung an meine Jugend in meinen Gedanken auftauchte.
    Ich war damals fünfzehn und in meinem ersten Schuljahr in der Roe Head School. Es war ein Morgen an einem Wochenende im Mai, und es war nun schon vier lange Monateher, seit ich zu Hause gewesen war oder jemanden aus meiner Familie gesehen hatte. Da wurde ich zu meiner Überraschung in Miss Woolers Salon gebeten, wo ich Branwell vorfand, der auf einem ihrer besten Sessel saß und auf mich wartete.
    »Branni!«, rief ich überrascht und entzückt. »Bist das wirklich du?«
    Er war damals noch ein Jüngling, es war einen Monat vor seinem vierzehnten Geburtstag, aber sein Gesicht mit der ausgeprägten Römernase und dem schön ausgebildeten Kinn war schon das eines Mannes von fünfundzwanzig. Er war größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Sein bestes Hemd hatte Schwitzflecken, und sein kinnlanger roter Haarschopf stand ihm wild nach allen Seiten vom Kopf wie zwei gespreizte Hände. Er wirkte sehr erhitzt und erschöpft, und doch war mir im ganzen bisherigen Leben kein Anblick willkommener gewesen.
    »Oh, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich euch vermisst habe!« Ich flog in die Wärme seiner festen Umarmung. »Wie um alles in der Welt bist du hierhergekommen?«, fragte ich erstaunt, weil ich wusste, dass Branwell vorher noch nie weit von zu Hause weg gewesen war.
    »Zu Fuß.«
    »Du bist
zwanzig Meilen
zu Fuß gegangen?«
    »Auf der Straße sind es zwanzig Meilen, aber seit du fortgegangen bist, habe ich die Landkarten genau studiert. Ich habe eine Abkürzung über die Felder genommen, Charlotte, ich bin querfeldein gewandert, über Weiden und Brachland und Stoppelfelder und kleine Straßen, habe unterwegs Hecken und Gräben und Zäune überwunden. Ich bin sicher, dass ich die halbe Entfernung abgekürzt habe, mindestens ein Drittel, obwohl ich doch das Gefühl habe, zwanzig Meilen hinter mir zu haben.« Er trat einen Schritt zurück und musterte michvom Scheitel bis zur Sohle mit einem spöttischen Grinsen. »Und jetzt bin ich hier und habe dich gesehen – und habe festgestellt, dass du unverändert bist – da sage ich nun Lebewohl und mache mich auf den Heimweg.«
    »Du wirst nichts dergleichen tun!« Ich lachte und knuffte ihn an der Schulter. »Oh! So eine lange Wanderung! Du musst völlig erschöpft sein!«
    »Überhaupt nicht!«, behauptete er tapfer.
    Ich wusste, dass er vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause sein musste und unser Zusammensein daher notgedrungen von kurzer Dauer sein würde. Ich war entschlossen, jeden Augenblick so gut wie möglich zu nutzen. Zuerst nahm ich ihn mit in die Küche, wo ihm die Köchin eine Stärkung reichte. Dann zeigte ich ihm die Schule, drinnen wie draußen. Und dann streckten wir uns auf dem weiten Rasen vor dem Haus im Schatten meines Lieblingsbaumes aus und schwatzten zwei kostbare Stunden lang freundlich miteinander.
    Er erzählte mir von den Fortschritten mit seinem neuesten literarischen Werk. Ich berichtete ihm, dass ich in der Schule so viel zu tun hatte, dass ich keine einzige Minute gefunden hatte, auch nur an Glasstown zu denken. Er versprach mir, diese Geschichte so lange weiterzuspinnen, bis ich

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