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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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zu leisten und ein Hemd für meinen Sohn John zu nähen.«
    »Wirklich?«, erwiderte er, nun in wesentlich freundlicherem Ton. Er beugte sich herunter, um den Kater zu streicheln, der zufrieden schnurrte. Mr. Nicholls fuhr fort: »Nun, ich möchte Sie bei Ihrem Besuch nicht stören, meine Damen. Auf Wiedersehen, Miss Brontë, Miss Anne.«
    Meine Schwester und ich antworteten ebenso.
    »Ich sehe Sie am Sonntag in der Kirche, Mrs. Ainley.«
    »Ganz gewiss, Mr. Nicholls. Sie wissen, dass wir nie einen Sonntagsgottesdienst versäumen.«
    »Wenn Sie möchten, kann ich am Montag wieder zum Vorlesen vorbeikommen.«
    »Oh! Wenn Sie das tun würden, Sir. Ich freu mich immer so drauf. Und noch mal danke für Ihr sehr freundliches und großzügiges Geschenk.«
    »Ich habe doch nur ein wenig Kohle geliefert, Mrs. Ainley. Diese guten Damen hier verdienen Ihren Dank viel mehr. An diesen Kleidern haben sie viele lange Stunden genäht, und das macht ihr Geschenk weitaus freundlicher und großzügiger als das meine.«
    Mit einer Verbeugung verabschiedete sich Mr. Nicholls. Durch das Fenster sah ich, wie er eines der kleinen Ainley-Mädchen in die Arme nahm. Er redete und lachte mit ihm, während die anderen Kinder fröhlich neben ihm herliefen, als er weiterschritt.
    Als Anne und ich eine halbe Stunde später das Haus verließen und die Teile von Johns Hemd in unserem Korb mit nach Hause trugen, um es dort fertigzunähen, sagte Anne: »Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, dass Mr. Nicholls ein guter und liebenswerter Mann ist. Glaubst du mir jetzt?«
    »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Er hat so ungeheuer widersprüchliche Seiten! An einem Tag sagt er die engstirnigsten Sachen oder schimpft ohne Erbarmen irgendeinen armen Kirchgänger aus, weil der gegen eine Regel verstoßen hat, und am nächsten Tag liest er ihnen vor und liefert ihnen Kohle! Warst du nicht auch wütend, als Mr. Nicholls sich letzte Woche geweigert hat, zu dem Konzert zu kommen?«
    »Was geht es uns an, ob sich jemand entscheidet, in ein Konzert zu gehen oder nicht?«
    »Es ist der Grund hinter dieser Entscheidung, der etwas über den Mann aussagt. Er wirft ein gewisses Licht auf seine Vorurteile.«
    »Das stimmt. Aber wir alle haben Vorurteile. Daran kann man nur sehen, wie kompliziert die Menschen sind, und einige der besten, die ich kenne, sind die allerkompliziertesten«, meinte Anne und schaute mich an.
    Ich seufzte ratlos. »Wie kann man den Mann, den Mrs. Ainley so ehrerbietig beschrieben hat, mit dem unter einen Hut bringen, der sich vor einigen Jahren Bridget Malone gegenüber so gefühllos verhalten hat?«
    »Damals war Mr. Nicholls noch sehr jung. Wir sollten den Mann beurteilen, der er heute ist, und uns nicht um seine Verfehlungen aus vergangenen Zeiten kümmern.«
    »Ich werde versuchen, ihn in einem besseren Licht zu sehen. Aber ehrlich gesagt – selbst wenn Mr. Nicholls persönlich jeder armen Familie in der ganzen Gegend Kohle brächte, für mich bliebe er doch immer jemand, der mich eine hässliche alte Jungfer genannt hat.«
     
    Der Frühling 1846 war eine Zeit intensiver, wenn auch heimlicher schöpferischer Tätigkeit, während der meine Schwestern und ich an unseren jeweiligen Romanen schrieben. Trotz Emilys harscher Kritik an
Der Professor
war ich nicht geneigt, das Buch zu verändern oder gar neu zu überdenken. Es war, was es war; wenn es sich als unvollkommen erweisen sollte, dann hatte ich die Schuld dafür allein mir anzulasten.
    Anfang Mai herrschte große Aufregung, als die ersten drei Exemplare unseres gedruckten Gedichtbandes im Pfarrhaus eintrafen. Kaum hatte ich das Päckchen erblickt, das säuberlich an »Miss Brontë« adressiert war, da wusste ich bereits, was es enthielt. Wie benommen holte ich Emily und Anne vom Klavierüben, und wir rannten nach oben, wo wir das Päckchen in der Abgeschiedenheit meines Schlafzimmers öffneten.
    »Oh!«, riefen wir alle drei wie aus einem Munde, als wirdas Buch zum ersten Mal sahen. Es war sehr elegant in flaschengrünes Leinen gebunden, und der Titel und die Autoren –
Gedichte von Currer, Ellis und Acton Bell
– waren schön in goldenen Lettern hervorgehoben. Die Freude, die ich empfand, als ich den kleinen Band endlich tatsächlich in Händen hielt, war unbeschreiblich.
    »Es ist so wunderschön«, rief Anne.
    »Und es ist veröffentlicht!«, krähte ich.
    »Du hattest recht, Charlotte«, sagte Emily. »Es ist die Erfüllung, unsere Werke gedruckt zu sehen und dann noch in einem so

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