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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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oder die Wärme ihrer mütterlichen Umarmung spüren? Natürlich konnten wir nicht zu ihrer Beerdigung nach Hause fahren. Es war zu weit weg.
    Zwei Wochen später kam der Arzt, der Elizabeth untersucht hatte, zu dem Ergebnis, dass sie nie an Typhus gelitten hatte,sondern sich im fortgeschrittenen Stadium der Schwindsucht befand, des gleichen Leidens also, das auch Maria das Leben gekostet hatte. Hilflos schauten Emily und ich zu, wie ein Bediensteter Elizabeth in die Postkutsche nach Keighley hob, die rasch fortfuhr. Papa war zutiefst betroffen, als ohne Vorwarnung ein privates Gig mit Elizabeth darin vor dem Pfarrhaus in Haworth anhielt. Er warf nur einen kurzen Blick auf ihr ausgezehrtes Gesicht, das dem Marias vor wenigen Wochen glich, vertraute Elizabeth der Obhut und Pflege von Tante Branwell an und kam unverzüglich und rettete Emily und mich.
    »Ihr werdet niemals wieder in diese Schule zurückgehen«, verkündete Papa unter Tränen, während wir heimreisten, »und damit basta.«
    Wie soll ich die Erleichterung beschreiben, die Emily und ich verspürten, als wir nun ein für alle Mal die Schrecken der Schule für Pfarrerstöchter hinter uns ließen und in unser geliebtes Zuhause zurückkehrten? Diese Erleichterung wurde jedoch von einer ungeheuren Traurigkeit getrübt. Es war ein Zuhause ohne Maria und schon bald auch ohne Elizabeth. Denn Elizabeths Krankheit war so weit fortgeschritten, dass sie zwei Wochen nach ihrer Heimkehr nach Haworth starb.
     
    Tränen traten mir – einundzwanzig Jahre später – in die Augen, als ich am Fenster unserer Unterkunft in Manchester stand und über den Verlust meiner beiden geliebten Schwestern nachsann. Mein Schmerz und mein Groll waren noch so frisch und tief, als hätte sich das alles gerade eben erst zugetragen. Wenn mir in diesem Augenblick eine Fee meinen sehnlichsten Wunsch hätte erfüllen können, so hätte ich sie gebeten, mich zurück in eine Zeit zu versetzen, in der meine Schwestern noch am Leben waren, damit ich sie noch ein einziges Mal umarmen könnte. Ich hätte auch um eine Begegnungmit meinem jüngeren Ich gebeten, um ihm Hoffnung und Trost zu spenden.
    Während ich traurig diesen Gedanken und Erinnerungen nachhing, stieg langsam eine Erkenntnis in mir. Plötzlich lief mir ein Schauer kalt über den Rücken, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Darauf folgte eine Hitzewelle, und mein Herz begann zu rasen.
    Auf einmal wusste ich, was ich als Nächstes schreiben musste.
    Dieses verängstigte, einsame kleine Schulmädchen, so elend, halb verhungert und vernachlässigt, dessen Gedanken und Gefühle in mir noch in allen Einzelheiten lebendig waren –
über dieses Mädchen sollte ich schreiben.
    Ich konnte auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen und ohne Furcht diesem Mädchen so viele Gefühle zubilligen, wie ich nur wollte. So würde es mir möglich sein, die Art von leidenschaftlicher Geschichte zu schreiben, die mir in der Vergangenheit immer so viel Freude gemacht hatte. Der Gedanke ließ mich schaudern, und mein Kopf arbeitete in hellem Aufruhr daran weiter. Meine Hauptperson sollte keine Mutter mehr haben, beschloss ich – darin hatte ich hinreichend Erfahrung. Und in der Familie, die das Mädchen aufzog, sollte es unerwünscht sein. Vielleicht würde sie als Erwachsene Gouvernante werden. Damit kannte ich mich auch aus.
    Es musste natürlich eine Liebesgeschichte geben. Ich konnte zudem befremdliche, verwunderliche und grausige Begebenheiten mit einflechten, so wie ich es in den Geschichten getan hatte, die ich in meiner Jugend erdachte. Aber es würde nicht der übliche Roman über eine junge Frau von großer Schönheit werden, beschloss ich, nein, ich würde diesmal etwas ganz anderes versuchen als das, was in den Geschichten, die ich bisher geschrieben, und in den Büchern, die ich bishergelesen hatte, vorkam. Ich würde eine kleine, unscheinbare Heldin schaffen, eine wie mich. Ich könnte sie nach einer meiner Schwestern benennen; aber nein, das wäre zu offensichtlich. Stattdessen würde ich Emilys zweiten Vornamen verwenden: Jane.
    Ob eine solche Geschichte bei einem Verleger oder beim Publikum Anklang finden würde, konnte ich nicht mit Gewissheit sagen. Ich wusste nur, dass ich es angehen musste. Dies war das Buch, das ich als Nächstes zu schreiben hatte.
    Ich setzte mich an mein Schreibpult und nahm ein Blatt Papier zur Hand. Im flackernden Licht einer einzelnen Kerze tauchte ich meine Feder ins Tintenfass.
    Und ich begann
Jane

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