Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Einwände bestand Papa darauf, die sechs Bände, aus denen das Gesamtwerk der »Bells« bestand, auf einem kleinen Tisch in seinem Studierzimmer zur Schau zu stellen. Voller Stolz trug Papa einen Packen von Rezensionen aus allen Zeitungen und Zeitschriften zusammen, die unsere Romane besprachen, alle sorgfältig mit dem Erscheinungsdatum der jeweiligen Publikation versehen. Mehr als einmal ertappte ich ihn dabei, wie er diese Kritiken immer wieder las, wenn ich an die Tür seines Studierzimmers klopfte und hereinschaute, um die Ankunft von Mr. Nicholls anzukündigen. Rasch musste Papa dann seine geliebten Zeitungsausschnitte wieder im Umschlag verschwinden lassen und in ihrem Versteck verstauen.
Im letzten Jahr war ich Mr. Nicholls zwar beinahe täglich begegnet, aber immer nur kurz, und wir hatten kaum mehr als nur ein paar Worte ausgetauscht. Im Gegensatz zu unserem zügellosen Bruder und den schlichten, pflichtbewussten Bediensteten unseres Haushalts war Mr. Nicholls jedoch ein intelligenter Mann mit einem forschenden Blick und hervorragender Beobachtungsgabe; das machte es uns schwer, unser Geheimnis vor ihm zu wahren. Unzählige Male traf er gleichzeitig mit der Post im Pfarrhaus ein, wenn Briefe oder Pakete von unseren Verlegern in London zugestellt wurden. Diese merkwürdigen Bündel erregten offensichtlich seine Neugier, aber meine Schwestern und ich verschwanden stets ohne ein Wort der Erklärung mit unserer Beute.
An einem solchen Morgen Ende Januar, als ich hörte, wie Tabby rief: »Schon wieder ein Paket für Sie, Miss Charlotte!«, kam ich zur Haustür gerannt, als gerade Mr. Nicholls von einem Spaziergang mit den Hunden zurückkehrte. Zu meinerVerlegenheit reichte mir Tabby das Paket vor Mr. Nicholls’ Augen. »Sind Sie aber beliebt, Miss! Wer ist das nur, der Ihnen all diese Bücher aus London schickt?«
»Freunde«, erwiderte ich rasch und errötete, während ich gleichzeitig versuchte, die Adresse des Absenders vor Mr. Nicholls zu verbergen.
Als ich eine Woche später Papa und Mr. Nicholls den Tee brachte, fragte dieser gerade Papa, warum er den Büchern der Bells in seinem Studierzimmer einen so hervorragenden Platz einräumte. Ohne zu zögern, erwiderte Papa, dass er einfach das Werk der Bells besonders schätzte. Ich war Papa für seine Diskretion sehr verbunden, ebenso Emily, die weiterhin auf Geheimhaltung als
conditio sine qua non
beharrte. An Mr. Nicholls’ Reaktion konnte ich ablesen, dass er diese Antwort nicht in Frage stellte. Er zeigte allerdings auch kein Interesse daran, die Bücher selbst zu lesen. Ich war mir damals sicher, dass der bloße Gedanke, dass eine Frau einen Roman schreiben könnte, Mr. Nicholls aufs Höchste erstaunt hätte – und es ihm niemals in den Sinn gekommen wäre, dass die Bells eigentlich
drei Frauen
waren, dazu noch die Töchter seines Pfarrers.
Schon lange war ich eine glühende Verehrerin von William Makepeace Thackerays Werk, und sein letzter Roman
Jahrmarkt der Eitelkeiten
war mir besonders lieb und wert. Als dieser Gentleman nicht lange nach der Veröffentlichung von
Jane Eyre
ein Loblied auf meinen Roman sang, war ich so erstaunt und so dankbar für seine großzügige Anerkennung, dass ich ihm die zweite Auflage von
Jane Eyre
widmete – was unerwarteten Wirbel verursachte.
»O nein!«, rief ich und rannte ins Esszimmer, wo Emily und Anne gerade mit kräftigen Bewegungen Flossys langes,seidiges Fell bürsteten. »Ich habe soeben von Mr. Thackeray gehört, der mich über sehr überraschende und schmerzliche Umstände unterrichtet. Anscheinend ist es allgemein bekannt – wenn es mir auch völlig unbewusst war –, dass Mr. Thackeray genau wie Mr. Rochester eine wahnsinnige Gattin hatte, die er in Pflege geben und einsperren musste.«
»Das ist wohl ein Scherz«, sagte Emily und ließ die Hundebürste sinken.
»Ich wünschte, es wäre so. Es geht eine Meldung durch die Presse, dass
Jane Eyre
von einer Gouvernante verfasst wurde, die für Mr. Thackerays Familie gearbeitet hat, und dass ihm
deswegen
Currer Bell ›sein‹ Buch gewidmet hat.«
»O je«, murmelte Anne. »Was für ein unglücklicher Zufall.«
»Man kann wirklich sagen, dass das Leben noch seltsamer ist als ein Roman«, sagte ich, während ich mit einem Seufzer aufs Sofa sank. »Mr. Thackerays Brief ist so edel, er äußerte keine Vorwürfe. Aber wenn ich denke, dass mein versehentlicher Fehler ihn zum Gegenstand des gemeinen Tratsches gemacht hat – oh, es ist wirklich
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